Zum Buch:
Der 18jährige Iraker Mahdi Hamama wird am Tag seiner letzten Abiturprüfung in Zikkurat Ur verhaftet. Er ist mit seinem Freund Ali in einem geliehenen Auto losgefahren, um zu feiern: endlich Ferien, endlich keine Schule mehr, endlich Freiheit. Von wegen. Zwei Jahre verbringt Mahdi im Gefängnis, zwei Jahre Folter, Hunger, Erniedrigung. Zwei Jahre, die er überlebt, weil er ein Geschichtenerzähler ist. Und weil sein Lachen die Grausamkeit mattsetzt.
Der zweite Roman von Abbas Khider wird zurzeit überall in den Medien vorgestellt, besprochen und gelobt. Dabei ist es eher ein stiller Roman. Die aktuelle politische Lage, die Revolution in den arabischen Ländern, lässt Khider zum arabischen Vorzeigeautor unserer Tage werden, was ihm nicht wirklich gerecht wird. Mit dem Adalbert-von-Chamisso-Förderpreis wurde er schon für seinen ersten Roman „Der falsche Inder“ 2010 ausgezeichnet.
Wahr ist, dass beide Romane auf autobiografischen Erlebnissen beruhen. Wahr ist, dass Khider selbst in einem irakischen Gefängnis unter Saddam Hussein eingesessen hat. Aber was er aus dem Erlebten im Roman umsetzt und wie, das ist das Besondere an seinem Werk. Mit dem Wechselspiel von Enthüllen und Verbergen packt er den Leser auf der literarischen wie auf der Spannungsebene, gleichzeitig führt er ihn damit aber auch an den Abgrund der Realität im Irak der 80er und 90er Jahre. Verbergen und Enthüllen in den Folterverhören, im Gefängnisalltag, Verbergen und Enthüllen der eigenen Vergangenheit, der eigenen Wünsche und Sehnsüchte vor sich selbst gehört zum Überleben. Für viele bedeutet die unerfüllte Hoffnung auf Freilassung in den Gefängnissen den Tod. Sie raubt alle Lebenskraft. Der Titel des Romans spielt auf eine solche Geschichte an: Am Geburtstag des Präsidenten dürfen politisch Inhaftierte auf Amnestie hoffen. Stattdessen wird den Gefangenen an diesem lang erwarteten Tag eine Kiste gebracht. Eine Kiste mit Blutorangen.
Nicht die Hoffnung, eine andere Welt erhält Mahdi am Leben. Es sind die Erinnerungen, die er sich erlaubt. Erinnerungen an die Eltern, die beide schon früh gestorben sind. An Sami, den Taubenzüchter, der ein zweiter Vater für Mahdi ist. An den Inder Razaq Mustafa, den Übersetzer, der Prosa und Lyrik aus dem Englischen ins Arabische überträgt, den Bücherwurm, Samis besten Freund. Sie sind dort, mitten im Gefängnis, bei Mahdi, in seinen Geschichten. Literatur ist eine Form der friedlichen politischen Revolution. Sie kann siegen.
Susanne Rikl, München