Zum Buch:
Die „Grenze“ ist ein Schlüsselbegriff unserer Zeit. Giorgos Kallis, Professor für Umweltwissenschaften in Barcelona, beschäftigt sich in seiner kurzen Studie mit einer wichtigen Quelle für unsere heutige Auffassung von Grenzen: dem britischen Ökonomen Thomas Robert Malthus. Das Ansehen, das seine Theorie über die absoluten Grenzen des Wachstums bis heute genießt, erklärt sich aus ihrer Funktion als Legitimationsideologie der aufstrebenden Bourgeoisie. Doch auch die grüne Bewegung unserer Zeit, so Kallis, „reproduziert Malthus’ Knappheitsmodell“ (59). Kein Wunder also, wenn es dem Ökosozialismus so schwer fällt, jenseits bürgerlicher Eliten ein größeres Publikum für sich zu gewinnen: Er fußt auf einer politischen Theorie, die ausschließlich zum Kampf gegen die Selbstversorgungsstrukturen der arbeitenden Klasse geschaffen wurde.
Dass grüne „Untergangspropheten“ (75) mit ihrem unterschwelligen Elitismus den neuen Populisten von Trump bis Bolsonaro und deren Alptraumphantasien vom kollektiven „Wir“, als das wir angeblich alle im selben und übervollen Boot sitzen, eine Steilvorlage nach der anderen zuspielen, ist dabei fast schon Nebensache. Kallis geht es um Grundlegenderes. In Bezug auf Cornelius Castoriadis demonstriert er eindringlich, dass Grenzen keine objektive, sondern eine relationale Kategorie sind: „Eine Grenze setzt ein Ziel voraus. […] Die Grenze liegt im Subjekt und in der Absicht, nicht in der Natur“ (72). Die einfache politische Botschaft lautet: Je mehr wir in der Debatte um notwendige Beschränkungen des Wirtschaftswachstums auf vermeintliche natürliche Grenzen des Planeten verweisen, desto stärker verschleiern wir, dass sich diese Auseinandersetzung nicht als Kampf gegen die Natur, sondern als Kampf um die Institutionen der Gesellschaft abspielt. Wir können nicht vernünftig über Selbstbeschränkung reden, weil die nötigen Orte und Begriffe dazu fest in den Händen derjenigen sind, die nur geringes Interesse an einer nachhaltigen Gesellschaft haben – mit anderen Worten, weil wir alle Malthusianer sind.
Vor diesem Hintergrund widmet sich Kallis einer kleinen Kulturgeschichte der Selbstbeschränkung und fragt, wie wir selbstbestimmt „eine Kultur der Grenzen zurückgewinnen“ (108) können. Es geht letztlich um nichts weniger als den „Anspruch auf Objektivität in Bezug auf Fragen, die grundlegend politischer Natur sind“ (136). Kallis’ Buch gelingt es damit, die Debatte um das Thema Grenzen auch innerhalb der Linken zu versachlichen. Die Frage, wie man in und mit der Wissenschaft für die richtige Sache Partei ergreifen kann, ist für alle interessant, die sich für eine neue ökologische Politik engagieren möchten.
Florian Geisler, Karl Marx Buchhandlung, Frankfurt a.M.