Zum Buch:
Am Tag vor Bekanntgabe des diesjährigen Literaturnobelpreisträgers wurden meine Buchhändlerkollegen und ich vom WDR gebeten, unsere Prognosen und Wünsche ins Mikrofon zu sprechen. Fürs Radio. Mein Wunschkandidat war jahrelang Philip Roth. Dann die letzten beiden Jahre Cormac McCarthy. Ganz entgegen der im Vorfeld geäußerten Dummheiten über amerikanische Schriftsteller, hatte ich mich diesmal für Denis Johnson entschieden.
Warum? Weil ich gerade seinen neuen Roman Ein gerader Rauch gelesen habe. Weil ich alles von Denis Johnson gelesen habe, und weil ich der Meinung bin, der Mann besitzt die seltene Gabe, die tiefsten, die allertiefsten menschlichen Gefühle bis auf den Grund auszuloten und in einer schnörkellosen, sprachgewaltigen Reinform in Bilder umzusetzen; meiner Meinung nach einer der wichtigsten amerikanischen Schriftsteller, den man nicht nur liest, dem man zuhört. In all seinen Büchern.
Tree of Smoke, wie der Roman im Original heißt, spielt in einem Zeitraum von 20 Jahren und beginnt 1963 auf den Philippinen, in der Nähe eines U.S.-Stützpunkts. An dem Tag, als Kennedy ermordet wurde, stapft der betrunkene Matrose Bill Houston jun. während seiner Freizeit durch den Dschungel und schießt einen harmlosen Affen vom Baum. Houston wird später aus der Marine entlassen, kehrt zurück in die Staaten und landet umgehend und immer wieder im Knast, wo es ihm noch am besten zu gehen scheint. Wenige Jahre später entflieht sein jüngerer Bruder James der Eintönigkeit der amerikanischen Kleinstadt und meldet sich freiwillig nach Vietnam ab. Er hat Angst. Langweilt sich. Blickt dann direkt in die Hölle, sucht und überlebt diese in jedem weiteren Jahr, für das er sich verpflichtet.
Gleichzeitig ist dies auch die Geschichte von Skip Sands, einem naiven CIA-Spion, der sich nicht sicher ist, was Vertrauen wirklich bedeutet und der bald schon Freund von Feind nicht mehr zu unterscheiden weiß. Da ist Skips Onkel, der trinkfeste Colonel F.X., ein Mythos schon zu Lebzeiten, der sich irgendwann selbst von der Befehlskette abgenabelt hat und seinen eigenen, psychologischen Krieg führt.
Und dies ist die Geschichte einer Krankenschwester, der Missionarswitwe Kathy Jones, die, nach allem was sie erlebt hat, niemandem mehr über den Weg traut, deren wachsender Mut soviel Kraft kostet und sich dennoch als die einzig greifbare Überlebenschance herausstellt.
Denis Johnson hat mit Ein gerader Rauch einen Roman geschrieben, der durch seine klar gezeichneten Figuren lebendiger nicht sein könnte. Am Ende der Lektüre denkt man, man hätte diese Menschen wirklich kennen gelernt, oder anders gesagt, als hätte der Autor sie alle gekannt, wirklich gekannt und einem dann davon erzählt. Denis Johnson hat dafür den renommierten National Book Award erhalten. Er hätte auch jeden anderen Preis verdient.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln