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Autor
Hutter, Billy

Karlheinz

Untertitel
Beschreibung

Was erzählen die Dinge über den Menschen? Mit dieser Frage ist konfrontiert, wer im Entrümpelungsgewerbe tätig ist. Der Entrümpler steht in vollgestopften Wohnungen, aus denen die Erben, so vorhanden, alle Wertgegenständen entfernt haben, und schätzt den – meist geringen – Wert der Dinge ab, die ihren Besitzern einstmals so wichtig waren. Aber es kommt auch vor, dass irgendetwas in so einer verlassenen, vollgemüllten Wohnung neugierig macht auf den früheren Bewohner. So ging es Billy Hutter, dem Künstler aus Ludwigshafen, der seinen Lebensunterhalt mit Haushaltsauflösungen bestreitet, in der Wohnung von Karlheinz Naksch, dessen Leiche unter ungeklärten Umständen aus dem Rhein gefischt wurde und der nicht nur Berge von Sauerkrautdosen, sondern auch von Papier hinterlassen hat. Über zwanzig Jahre hinweg setzt er Stück für Stück aus diesen Papieren und Gegenständen ein Leben zusammen und versucht, Antwort auf die Frage zu finden: Wer war Karlheinz? …
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Metrolit Verlag, 2015
Format
Gebunden
Seiten
240 Seiten
ISBN/EAN
9783849301064
Preis
25,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Billy Hutter wurde 1958 in Ludwigshafen/Rhein geboren. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit Haushaltsauflösungen und der Restauration alter Möbel. Daneben arbeitet er an Performanceprojekten und als Autor. In Ludwigshafen ist er Mitbetreiber eines sehr seltsamen, privaten Heimatmuseums.

Zum Buch:

Was erzählen die Dinge über den Menschen? Mit dieser Frage ist konfrontiert, wer im Entrümpelungsgewerbe tätig ist. Der Entrümpler steht in vollgestopften Wohnungen, aus denen die Erben, so vorhanden, alle Wertgegenständen entfernt haben, und schätzt den – meist geringen – Wert der Dinge ab, die ihren Besitzern einstmals so wichtig waren. Aber es kommt auch vor, dass irgendetwas in so einer verlassenen, vollgemüllten Wohnung neugierig macht auf den früheren Bewohner. So ging es Billy Hutter, dem Künstler aus Ludwigshafen, der seinen Lebensunterhalt mit Haushaltsauflösungen bestreitet, in der Wohnung von Karlheinz Naksch, dessen Leiche unter ungeklärten Umständen aus dem Rhein gefischt wurde und der nicht nur Berge von Sauerkrautdosen, sondern auch von Papier hinterlassen hat. Über zwanzig Jahre hinweg setzt er Stück für Stück aus diesen Papieren und Gegenständen ein Leben zusammen und versucht, Antwort auf die Frage zu finden: Wer war Karlheinz? …

Um es gleich zu sagen, Karlheinz, Jahrgang 1929, ist kein sympathischer Mensch. Fotos zeigen, wie aus dem schüchternen Kind mit den langen blonden Locken ein verschlossener, zwanghafter und verklemmter Mann wird. Wir folgen dem Schüler anhand seiner Schulaufsätze durch Ludwigshafen, auf Wegen, die der Autor genauso akribisch (zum Teil mit Hilfe von Stadtplänen) auflistet; erfahren dank der ausgeschnittenen und sorgfältig aufgehobenen Zeitungsausschnitte von Krieg und Bombardierung, lesen, welche Kollegen des Vaters, der als Chemiker bei den I.G. Farben, später BASF, arbeitete, nicht entnazifiziert wurden, wohin die Urlaubs- und Wochenendfahrten mit den verschiedenen „Opel-Autos“ führten, wie viele Kilometer dabei zurückgelegt wurden und was es dabei wo zu essen gab, wie viele Hemden er umtauschte, wie viele Regenmäntel er sammelte und welche Prozesse er wegen Kleinigkeiten führte. Es scheint, als sei Karlheinz der typische Spießer aus dem Wirtschaftswunderland der fünfziger und sechziger Jahre, eine Miniaturausgabe des „dicken Nachbarsjungen“ und späteren Politikers aus Oggersheim, vor dem er sich als Kind gefürchtet hat. Andererseits zeigt dieses Bild aber auch Risse, denn sein Leben ist keine Erfolgsgeschichte, im Gegenteil. Karlheinz ist auch verkrachter Student, Autoschieber und Aktienbetrüger. Und auch diese Laufbahn hat er akribisch aufgelistet …

Billy Hutter hat in seinem Erstling ein wunderbar schräges und faszinierendes Buch nicht nur über Karlheinz, sondern auch über die Geschichte der Bundesrepublik und einer Stadt wie Ludwigshafen geschrieben – keine Biographie, sondern ausdrücklich einen Roman, denn trotz der Überfülle an Material, das Karlheinz hinterlassen hat, ließ sich nicht alles rekonstruieren. An all diesen Rekonstruktionsversuchen und Mutmaßungen lässt uns der Autor teilnehmen, genauso wie an seinem eigenen Leben. Und er nimmt uns mit in das „Kleine Heimatmuseum“, das er aus den vielen Nachlässen in Ludwigshafen zusammengestellt hat und in dem Karlheinz ein eigener Raum gewidmet ist. Auf diese Weise überträgt er seine Faszination auf die Leserin, der Karlheinz mit jedem weiteren schön gestalteten Kapitel immer näher auf die Pelle rückt. Das Fazit liefert der Klappentext: „Ein Stück Karlheinz steckt auch in Euch“ – und das macht die Lektüre über dieses schrecklich-schöne, realistisch-absurde und erschreckend einsame Leben auch ein wenig gruselig.

Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main