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Autor
Hartmann, Lukas

Räuberleben

Untertitel
Beschreibung

„Räuberleben“ – bei einem solchen Titel assoziiert man die Geschichten und Filme über die großen Outlaw-Legenden wie Robin Hood, Cartouche und Schinderhannes. Legendenumwoben ist auch der Protagonist dieses Romans, der wilde Räuber Hannikel, der Ende des 18. Jahrhunderts mit seiner Bande im Herzogtum Württemberg sein Unwesen trieb und schließlich in Sulz am Neckar hingerichtet wurde. Wer aber in Räuberleben Wald- und Sozialromantik, wilde Degengefechte und tollkühne Fluchten erwartet, dürfte enttäuscht werden, denn Lukas Hartmann versagt (oder erspart) dem Leser die romantisierten Legenden, bietet dafür aber einen so faszinierenden wie anregenden historischen Roman über das ausgehende 18. Jahrhundert kurz vor der Französischen Revolution.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Diogenes Verlag, 2012
Format
Gebunden
Seiten
352 Seiten
ISBN/EAN
9783257068061
Preis
22,90 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Lukas Hartmann, geboren 1944 in Bern, studierte Germanistik und Psychologie. Er war Lehrer, Journalist und Medienberater. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Spiegel bei Bern und schreibt Bücher für Erwachsene und für Kinder. Mit seinen Romanen steht er regelmäßig auf der Schweizer Bestsellerliste. Für ‘Bis ans Ende der Meere’ wurde er 2010 mit dem Sir Walter Scott-Literaturpreis für historische Romane ausgezeichnet.

Zum Buch:

Als Jakob Reinhard, genannt Hannikel, 1787 in Sulz am Neckar durch den Strang hingerichtet wird, ist eine für die Zeit wohl beispiellose Menschenjagd zu Ende gegangen. Über Jahre hinweg hatte Hannikel mit seinem Sinti-Clan Bauern, Pfarrer und Juden beraubt und die Behörden zum Narren gehalten. Erst als er einen Soldaten, ein ehemaliges Mitglied seiner Bande, wegen einer Frauengeschichte grausam ermorden lässt, wittert Jacob Schaffer, Oberamtmann von Sulz und fanatischer Kämpfer gegen „Räuber, Gauner und Zigeuner“, die Chance, den Gesuchten endlich fassen zu können, ging doch dieser Ehrenmord selbst manchen Bandenmitgliedern zu weit. In Begleitung seines Schreibers Wilhelm Grau jagt er dem Gesuchten nach bis in die Schweiz, nach Chur, um ihn mitsamt seiner Familie nach Sulz vor Gericht zu bringen.

Hartmann präsentiert die Geschichte nicht linear, wie im historischen Roman üblich, sondern lässt ganz unterschiedliche Figuren zu Wort kommen. Den größten Part bekommt dabei der sensible Schreiber Grau, den der selbstgerechte Fanatismus des Oberamtsmanns zunehmend beunruhigt. Grau, der als nebenberuflicher Insektenforscher einen weniger religiös verengten Blick auf die Welt hat, sieht die Räuber zunehmend als Menschen statt als gottlose Monster. Vor allem die Kinder, darunter Hannikels elfjähriger Sohn Dieterle, erregen sein Mitgefühl. Aber auch Dieterle und Hannikel selbst kommen zu Wort, und sie erzählen wieder eine andere Geschichte, eine Geschichte von Ausgrenzung, von Hunger, von den kalten Nächten im Wald und von der Unmöglichkeit, eine Arbeit zu finden, die sie und ihre Familie ernähren könnte. Und schließlich lernen wir noch die Sicht von Herzog Carl Eugen höchstpersönlich kennen, der das Todesurteil für Hannikel unterzeichnet, jener Herzog übrigens, der Schubart auf dem Asberg festsetzte und vor dem Schiller aus Württemberg geflohen war. Diese verschiedenen Stimmen und Perspektiven verhindern eine unkritische empathische Identifikation mit den Protagonisten und lassen dem Leser immer wieder den nötigen Abstand, eine eigene Haltung zu den geschilderten Ereignissen zu finden.

Mit Räuberleben hat Lukas Hartmann erneut einen ausgezeichnet recherchierten und glänzend geschriebenen historischen Roman vorgelegt, der das leistet, was historische Romane leisten sollten: einen fundierten Hintergrund für ein besseres Verständnis der Gegenwart.

Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main