Zum Buch:
Als Jakob Reinhard, genannt Hannikel, 1787 in Sulz am Neckar durch den Strang hingerichtet wird, ist eine für die Zeit wohl beispiellose Menschenjagd zu Ende gegangen. Über Jahre hinweg hatte Hannikel mit seinem Sinti-Clan Bauern, Pfarrer und Juden beraubt und die Behörden zum Narren gehalten. Erst als er einen Soldaten, ein ehemaliges Mitglied seiner Bande, wegen einer Frauengeschichte grausam ermorden lässt, wittert Jacob Schaffer, Oberamtmann von Sulz und fanatischer Kämpfer gegen „Räuber, Gauner und Zigeuner“, die Chance, den Gesuchten endlich fassen zu können, ging doch dieser Ehrenmord selbst manchen Bandenmitgliedern zu weit. In Begleitung seines Schreibers Wilhelm Grau jagt er dem Gesuchten nach bis in die Schweiz, nach Chur, um ihn mitsamt seiner Familie nach Sulz vor Gericht zu bringen.
Hartmann präsentiert die Geschichte nicht linear, wie im historischen Roman üblich, sondern lässt ganz unterschiedliche Figuren zu Wort kommen. Den größten Part bekommt dabei der sensible Schreiber Grau, den der selbstgerechte Fanatismus des Oberamtsmanns zunehmend beunruhigt. Grau, der als nebenberuflicher Insektenforscher einen weniger religiös verengten Blick auf die Welt hat, sieht die Räuber zunehmend als Menschen statt als gottlose Monster. Vor allem die Kinder, darunter Hannikels elfjähriger Sohn Dieterle, erregen sein Mitgefühl. Aber auch Dieterle und Hannikel selbst kommen zu Wort, und sie erzählen wieder eine andere Geschichte, eine Geschichte von Ausgrenzung, von Hunger, von den kalten Nächten im Wald und von der Unmöglichkeit, eine Arbeit zu finden, die sie und ihre Familie ernähren könnte. Und schließlich lernen wir noch die Sicht von Herzog Carl Eugen höchstpersönlich kennen, der das Todesurteil für Hannikel unterzeichnet, jener Herzog übrigens, der Schubart auf dem Asberg festsetzte und vor dem Schiller aus Württemberg geflohen war. Diese verschiedenen Stimmen und Perspektiven verhindern eine unkritische empathische Identifikation mit den Protagonisten und lassen dem Leser immer wieder den nötigen Abstand, eine eigene Haltung zu den geschilderten Ereignissen zu finden.
Mit Räuberleben hat Lukas Hartmann erneut einen ausgezeichnet recherchierten und glänzend geschriebenen historischen Roman vorgelegt, der das leistet, was historische Romane leisten sollten: einen fundierten Hintergrund für ein besseres Verständnis der Gegenwart.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main