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Autor
Georgi, Viola B.

Entliehene Erinnerung

Untertitel
Geschichtsbilder junger Migranten in Deutschland
Beschreibung

Wie eignen sich junge Migranten in der Bundesrepublik Deutschland die Geschichte des Nationalsozialismus an und vor welchen Herausforderungen steht die bundesdeutsche Erinnerungskultur im Gefolge von Migration und der damit verknüpften Pluralisierung von Geschichtsbezügen?

Verlag
Hamburger Edition, 2003
Format
Gebunden
Seiten
343 Seiten
ISBN/EAN
978-3-930908-89-9
Preis
30,00 EUR

Zum Buch:

Wie eignen sich junge Migranten in der Bundesrepublik Deutschland die Geschichte des Nationalsozialismus an und vor welchen Herausforderungen steht die bundesdeutsche Erinnerungskultur im Gefolge von Migration und der damit verknüpften Pluralisierung von Geschichtsbezügen? Diesen Fragen stellt sich Viola Georgi in ihrer Studie und führt mit den Themen Einwanderung und Vergangenheitsbewältigung zwei gesellschaftspolitisch bedeutsame Themen zusammen, die bisher meist unverbunden diskutiert worden sind. Wie jede Form nationaler Geschichtspolitik erzeugt auch der Einschluß der NS-Geschichte in das nationale Identitätskonzept Ausschließungsphänomene. Folglich steht die Konstruktion einer erinnernden Schicksalsgemeinschaft immer in der Gefahr, Abstammungslogiken zu perpetuieren, zumal dann, wenn die NS-Geschichte als “negatives Eigentum” (Jean Améry) der Täter-, Mitläufer- und Zuschauergeneration und ihrer Nachkommen begriffen wird. An diesen neuralgischen Punkt des bundesdeutschen Selbstverständnisses wagt sich Georgi heran und faßt ihre Leitfrage wie folgt zusammen: Kann die Geschichte des Nationalsozialismus in einer pluralen deutschen Gesellschaft Bezugspunkt des nationalen Selbstverständnisses sein, ohne daß dabei eine deutsche Abstammungsgemeinschaft beschworen wird? Der erste Teil der Studie ist der theoretischen Vergewisserung und der Zusammenführung der Themen Erinnern/Gedenken und Migration gewidmet. Die Basis hierfür bilden einschlägige Beiträge aus der Geschichtsbewußseins-, Identitäts- und Ethnizitätsforschung sowie kulturwissenschaftliche Ansätze der Erinnerungs- und Gedächtnisforschung, die von der Autorin sorgfältig referiert und intelligent aufeinander bezogen werden. Der zweite Teil stellt die eigentliche empirische Untersuchung vor, deren Basis 32 narrative Interviews mit Migranten im Alter von 15 bis 20 Jahren sind. Aus diesem Material entwickelt Georgi vier Typen des Vergangenheitsbezugs. Typen, die allesamt vom Gegenwarts- und Zukunftsinteresse der Befragten geprägt sind und in denen divergierende Positionen bezüglich der Zugehörigkeit zur bundesdeutschen Gesellschaft formuliert werden. Überraschenderweise greift Georgi die Widersprüchlichkeit der verschiedenen Vergangenheitsbezüge abschließend nicht auf und diskutiert deren geschichtspolitischen Konsequenzen. In ihrem Plädoyer für eine historisch orientierte Menschenrechtsbildung entscheidet sie sich für eine pädagogisch-normative Wendung. Sie schließt sich dem lauter werdenden Ruf nach einer Universalisierung des Holocaust an und schlägt sie als Richtmaß für zukünftige Erinnerungsformen vor. Georgi verpaßt dadurch die Gelegenheit, die Befunde der Studie einzubetten in die zentralen Fragestellungen der aktuellen geschichtspolitischen Kontroversen: In das Spannungsfeld von Singularität und Relativierung der Verbrechen oder in die Konfliktlinie zwischen der Notwendigkeit nationaler Geschichtspolitik einerseits und der vielzitierten Globalisierung und Universalisierung der Erinnerung andererseits. Zumindest wäre dies eine Richtung, in die weiter diskutiert werden könnte. Wolfgang Meseth, Frankfurt