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Autor
Tučková, Kateřina

Das Vermächtnis der Göttinnen

Untertitel
Eine merkwürdige Geschichte aus den Weißen Karpaten. Roman. Aus dem Tschechischen von Eva Profousová
Beschreibung

Kateřina Tučková erzählt in ihrem Roman „Das Vermächtnis der Göttinnen. Eine merkwürdige Geschichte aus den Weißen Karpaten“ die Geschichte von Dora, der letzten weiblichen Nachfolgerin eines „Göttinnen“-Geschlechts, und über die Recherche ihrer Familiengeschichte unter der nationalsozialistischen Besatzung und dem kommunistischen Regime.

Leicht wie ein Krimi liest sich dieser Roman und stellt dabei dennoch immer wieder die Frage: Was passiert mit dem Menschen im totalitären System, und was, wenn er in seinem Leben gleich zwei miterlebt?
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
DVA, 2015
Format
Gebunden
Seiten
416 Seiten
ISBN/EAN
978-3-421-04630-7
Preis
22,99 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Kateřina Tučková wurde 1980 in Brünn geboren, studierte Kunstgeschichte, Literatur- und Sprachwissenschaft. Sie ist als Kuratorin, Sachbuchautorin und Schriftstellerin tätig. 2010 erhielt sie den wichtigsten Literaturpreis des Landes, den Magnesia Litera, für “Die Vertreibung der Gerta Schnirch”; für “Das Vermächtnis der Göttinnen” wurde sie mit dem Josef-Škvorecký-Preis, dem Tschechischen Bestsellerpreis und dem Magnesia Litera Publikumspreis ausgezeichnet. Das Buch stand wochenlang auf der Bestsellerliste und verkaufte sich 100.000 Mal in Tschechien. Kateřina Tučkovás Bücher werden in elf Sprachen übersetzt.

Zum Buch:

Kateřina Tučková erzählt in ihrem Roman „Das Vermächtnis der Göttinnen. Eine merkwürdige Geschichte aus den Weißen Karpaten“ die Geschichte von Dora, der letzten weiblichen Nachfolgerin eines „Göttinnen“-Geschlechts, und über die Recherche ihrer Familiengeschichte. In Tschechien war der Roman ein Bestseller und ist 2015 nun auch in deutscher Übersetzung erschienen.

Dora, geboren 1958, ist acht und ihr kleiner behinderter Bruder Jakub vier Jahre alt, als der Vater die Mutter brutal erschlägt und ins Gefängnis kommt. Seitdem leben die Kinder bei ihrer Tante, die überall Surmena genannt wird. Sie ist eine von mehreren „Göttinnen“ in Kopanice, einem Dorf in der Gemeinde Žítková in der damaligen ČSSR, nahe der Grenze zur heutigen Slowakei. Heilen kann Surmena und Unwetter abwenden. Dora selbst ist ihr „Engel“, ihre Aufgabe ist es, an der Bushaltestelle die Menschen zu erkennen, die zu Surmena wollen, und sie unauffällig zu ihr zu führen. Der kommunistische Staat darf unter keinen Umständen davon erfahren, denn Surmenas Tätigkeit als „Göttin“ wird als „staatsgefährdend“ eingestuft. Aber trotz aller Vorsicht wird Surmena eines Tages wegen ihrer „gesellschaftsgefährdenden, betrügerischen Tätigkeit“ in eine Psychatrie gesperrt und mittels Medikamenten und Elektroschocks ihrer geistigen Kräfte und ihrer Sprache beraubt. Dora wächst von da an in einem Internat auf, Jakub in einer Pflegeanstalt für geistig behinderte Kinder und Jugendliche.

Nach Abschluss der Schule und als Volljährige frei vom direkten Zugriff des Staates beginnt Dora ein Studium der Ethnologie und arbeitet im Anschluss als stille, kaum beachtete Mitarbeiterin an der Universität in Brünn, ohne jemals eine Karriere anzustreben. Ihre Diplomarbeit hatte Dora über die Göttinnen in Kopanice geschrieben, allerdings noch unter dem Einfluss der sozialistischen Ethnologie, für den sie sich heute schämt.

Die Rahmengeschichte spielt im beginnenden 21. Jahrhundert. Nachdem die Archive nach der Wende geöffnet worden sind, will Dora ein zweites Mal mit der Recherche beginnen und dieses Mal die Rätsel ihrer Familiengeschichte und der Göttinnen in Kopanice lösen, die nach ihrer Diplomarbeit offen geblieben sind. Immer tiefer taucht sie ein in das Aktenmaterial tschechischer und polnischer Archive und findet dabei Hinweise aus der Zeit des Protektorats. Die Nationalsozialisten nämlich hatten im Rahmen von Himmlers Hexenkarthothek ein besonderes Interesse an den Göttinnen von Kopanice: der sudetendeutsche Schriftsteller Ferdinand Norfolk wurde bis 1944 dafür bezahlt, die Göttinnen in ihrem Umfeld unauffällig zu beobachten. Norfolk korrespondiert immer wieder mit Rudolf Levin in Berlin, dem Leiter des „Hexen-Sonderauftrags“. Er nutzt diese Tätigkeit zur Recherche für seine Romane. Ziel Himmlers aber war eine vergleichende Darstellung der Praktiken dieser Göttinnen, in denen er „altgermanischen Glauben“ wiederzufinden glaubte. Die Forschungen im Zusammenhang mit Himmlers „Hexen-Sonderauftrag“ insgesamt sollten die Verbrechen der katholischen Kirche im Zuge der Hexenverfolgung gegen „altgermanisches Erbe“ auflisten. Sowohl die Forschergruppe als auch die Figuren Norfolk und Levin sind eng entlang der historischen Fakten dargestellt.

Spannend ist es für den Leser, Doras Archivrecherche, die die Chronologie der Erzählung bestimmt, zu verfolgen. Der genauen Dokumentation der Recherche, bei der Dokumente direkt abgebildet werden, und der historischen Wirklichkeit, auf der erzählte Ereignisse und Namen beruhen, stehen der traumartigen, fast märchenhaften Erzählung der Rahmengeschichte gegenüber. Der zum Teil dokumentarische Charakter des Textes wird explizit ausgestellt, indem viele der Akten in den Text montiert sind. So erfährt der Leser direkt von Doras Funden über gute und böse Hexen und deren Auseinandersetzungen, über nationalsozialistische Völkerkundler und kommunistische Geheimdienstler. Leicht wie ein Krimi liest sich dieser Roman und stellt dabei dennoch immer wieder die Frage: Was passiert mit dem Menschen im totalitären System, und was, wenn er in seinem Leben gleich zwei miterlebt?

Alena Heinritz, Mainz