Zum Buch:
1736 schrieb der vierundzwanzigjährige Kronprinz Friedrich von Preußen aus Rheinsberg einen Brief an den zweiundvierzigjährigen Philosophen Voltaire – der erste Schritt in der Beziehung dieser beiden höchst unterschiedlichen Menschen. Mehrfach hat Voltaire Friedrich besucht und sich auch längere Zeit bei ihm am Hofe aufgehalten. Das ging bekanntlich nicht gut. Warum, kann man in dieser kurzweiligen, vergnüglichen und hintergründigen Novelle lesen.
Hans Joachim Schädlich schildert zwei höchst komplexe Charaktere: der schöngeistige Friedrich, der Philosophie, der Musik und der Dichtung zugetan, gab zu der berechtigten Hoffnung Anlass, der erste aufgeklärte Monarch auf einem europäischen Königsthron zu sein. Hatte er doch mit seinem „Antimachiavell“ die Prinzipien aufgeklärten Herrschens selbst nieder geschrieben. Schade nur, dass er, kaum König geworden, das meiste wieder vergaß und wie seine Kollegen danach trachtete, Macht und Einfluss seines kärglichen Reiches zu vergrößern, was ihm mit Hilfe vieler Kriege auch gelang.
Voltaire, der Philosoph, der für seine freiheitlichen Gedanken mehrfach im Gefängnis saß, als Bürgerlicher und als freier Schriftsteller für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen musste (und dies durchaus geschäftstüchtig auch tat), war für die königlichen Schmeicheleien äußerst empfänglich, wenn auch nicht bereit, dafür seine persönliche Freiheit aufzugeben.
Friedrich wirbt und lockt, aber Voltaire zögert lange, den Sirenentönen des Monarchen nachzugeben. Auch, weil es eine Person gibt, die sehr sensibel für die Gefahren und die Untertöne dieser Beziehung ist: Voltaires langjährige Geliebte, die verheiratete Adlige Gabrielle-Emilie Le Tonnelier de Breteuil, kurz Emilie. Freigeistig, gebildet, den Naturwissenschaften zugeneigt, ist sie für den Philosophen eine gleichwertige Partnerin. Sie ist es, die ihn immer wieder warnt, sich auf das königliche Abenteuer einzulassen.
Der Autor begnügt sich zum Glück nicht damit, nur das Verhältnis zwischen Friedrich und Voltaire auszubreiten. In kurzen Episoden bekommt der Leser einen Einblick in die Gefahren des Lebens eines Schriftstellers, dessen Werke ständig bei der Zensur aneckten, und wie oft er fliehen, sich verstecken musste. Von Friedrich, der der deutschen Sprache so gut wie unkundig war, gibt es rührende Briefe in schaurigster Orthographie an seinen kranken Kammerherrn zu lesen. Das sind hingetupfte Miniaturen, die den Figuren Tiefenschärfe verleihen.
Es ist schon eine hohe Kunst, die Hans Joachim Schädlich in diesem schmalen Buch vorführt: Mit wenigen, meist sehr kurzen und trockenen Sätzen charakterisiert er Personen, gesellschaftliche Verhältnisse und Beziehungen. Um nichts wird lange herum geredet, nichts wird psychologisiert, aber im Kopf des Lesers entsteht ein vielfältiges Bild der Personen und Ereignisse. Es ist, als hätte man einen Riesentopf mit Zutaten so lange heruntergeköchelt, bis eine klare und scharfe Essenz entstanden ist, die man mit großem Vergnügen genießt!
Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt