Zum Buch:
Damals, im Deutschen Herbst, an diesem 18. Oktober 1977, als die von einem palästinensischen Terrorkommando entführte Lufthansa-Maschine „Landshut“ nach 106 Stunden Geiselnahme auf dem Flughafen von Mogadischu von einer GSG-9-Truppe gestürmt wurde, war ich gerade mal neun Jahre alt. Ich weiß nicht, ob Martin Rupps, der vier Jahre älter ist, sich noch persönlich an die Geschehnisse erinnern kann; ich kann es jedenfalls nicht. Aber es gibt ja Bücher. Dutzende. In denen noch das kleinste Detail beleuchtet wird, mitsamt der Vorgeschichte und den sich daraus ergebenden Folgen. Man kennt die Namen. Die Gesichter. Die Schicksale jedoch, die hinter jedem einzelnen dieser für immer in Schwarzweiß festgehaltenen Gesichter stehen, die kennt man natürlich nicht. Bisher jedenfalls nicht. In seinem Buch: „Die Überlebenden von Mogadischu“ hinterfragt der Experte für Sozialgeschichte nicht die Tatsache, dass zum Beispiel das Ende eines perfekten Urlaubs, dessen Höhepunkt ein Schönheitswettbewerb auf Mallorca war, für eine Gruppe junger Frauen zum absoluten Albtraum werden konnte. Er geht vielmehr einen Schritt weiter, indem er nachforscht, wie es den Opfern und auch deren Angehörigen nach der Befreiung ergangen ist. Wie sind sie umgegangen mit dem kurzen Ruhm, mit Blitzlichtgewitter, Journalisten und Presse. Und mit dem noch lange anhaltenden Trauma.
Rupps hat mit vielen der Überlebenden und ihren Familien zahlreiche Gespräche geführt, hat bisher unveröffentlichte Unterlagen von Regierungsbehörden und der Lufthansa einsehen können und kommt zu dem Schluss, das die Versuche der Opfer, nach dem Geschehen ihr altes, normales Leben zurückzubekommen, kläglich scheiterten, was in der Hauptsache dem völligen Versagen der Verantwortlichen geschuldet ist, ihrer Unfähigkeit, mit dem Trauma umzugehen. Das hat bis heute, so viele Jahre später, tiefe Narben bei denen hinterlassen, die sich damals so sehr im Stich gelassen fühlten. „Die Überlebenden von Mogadischu“ erzählt den Teil der Geschichte, der weit wichtiger ist als das Geschehen selbst.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln