Zum Buch:
Boris Saidman erzählt von einer Kindheit in der Sowjetunion, geprägt von Heldengeschichten aus dem Zweiten Weltkrieg, von verschwundenen Großvätern, von seinem Onkel Niuma, der als Kriegsheld zurückkehrte und wegen Mehlschmuggel im Gulag verschwand und von seiner Tante Rosa, mit denen er zwar im Grunde nicht verwandt ist, die aber durch die gemeinsame leidvolle Vergangenheit zu einer echten Familie wurden. Er erzählt von seinen kindlichen Träumen und Phantasien, die sich aus der politischen Propaganda und den Geschichten der Erwachsenen speisen und aus denen er seine eigene Realität bastelt, von der ständigen Angst vor Spitzeln, der Notwendigkeit, über gewisse Dinge ausschließlich in der Familie zu sprechen, und von einem Antisemitismus, der ihn zuerst in die Isolation getrieben und zuletzt in Lebensgefahr gebracht hat.
Die Erinnerungen des kindlichen Tolik, die in einer anrührend zärtlichen, aber von jeder sentimentalen Verklärung freien Sprache erzählt werden, sind bei allem Witz von tiefer Melancholie geprägt, von der Trauer um einen verlorenen Teil des eigenen Lebens. Mit der Schilderung der Reise nach Israel und der Ankunft in dem neuen, völlig unbekannten Land,wird deutlich, welchen Bruch die Auswanderung für das Kind bedeutete. Es hat sich angepasst, die neue Sprache gelernt, sich an den neuen Namen gewöhnt und eine Vergangenheit verdrängt, die nicht zuletzt dank gesellschaftlicher Vorurteile tabuisiert werden musste. Boris Saidman hat ein wunderbares Buch über Auswanderung und Einwanderung (nicht nur nach Israel) geschrieben, das ich nur empfehlen kann.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main