Zum Buch:
„Wenn sie uns umbringen, dann bringen sie eben um.“
„Es hat keinen Sinn, Fenster einzubauen, sie werden doch wieder nur zerstört.“
„Früher war es ein Traum hier.“
„Ich liebe mein Land und seine Leute. Ich will sie einig sehen.“
„Warum ist die Front ausgerechnet hier zu stehen gekommen?“
„Die Einschusslöcher im Blechtor rosten.“
„Alle haben Angst hier.“
Sie nennen sie die „graue Zone“. Sie ist circa 450 Kilometer lang und zieht sich wie eine gezackte Narbe von der Küste des Asowschen Meeres in nordöstliche Richtung, durchpflügt dabei Flüsse, Dörfer, Städte und Felder, die nicht befahren, bewohnt oder bearbeitet werden können, trennt Freunde, Familien, Arbeitskollegen und Kirchengemeinden und endet weit hinter Staniza Luhanska in der nordöstlichen Ukraine, an der Grenze zu Russland.
Die einst so ruhige Kleinstadt hat bisher nie viel von sich reden gemacht und ist erst – wie so viele andere verschlafene Nester in der Ostukraine – durch den Krieg im Donbass bekannt geworden. Nun stauen sich hier täglich mehrere Tausend Menschen, die über die Brücke des Siwerskij Donez und über die Grenze nach Russland wollen, in die vermeintliche Sicherheit. Rings um den Checkpoint sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld. Es wird hier und da immer noch geschossen. Worauf genau, weiß niemand so richtig. Auf den Fotos erinnert die Grauzone stellenweise an Tschernobyl, kurz nachdem die Busse die Stadt evakuiert haben. Sie sieht aus wie das, was sie ist: Niemandsland. Gefechtslinie. Kriegsgebiet.
Zwischen März und Dezember 2017 haben sich die Journalistin Jutta Sommerbauer und der Fotograf Florian Rainer in eben diese Grauzone aufgemacht, um die Geschichten der Menschen in diesem Niemandsland zu dokumentieren, ihre Hoffnungen, ihre Wünsche und Ängste. Was dabei entstanden ist, ist eine ungeschönte und aufrüttelnde Reportage, die anhand der zahlreichen Fotografien noch an Dynamik dazugewinnt. Die Menschen reden hier ganz offen über ihre Probleme und über ihre Einschätzung des Konflikts und ihrer Chancen, ihn zu überstehen,. Und das inmitten der zerschossenen Häuser, der verwaisten Spielplätze und der verbarrikadierten Geschäftszeilen. Und irgendwo hinter einem zur Hälfte mit Pappe geflickten Fenster leuchtet einsam und wie verlassen ein mickriger kleiner Weihnachtsbaum.
„Es ist unser Schmerz, unsere Misere, unser Unglück, unser Krieg“, sagt aufgebracht ein Nachbar. „Ihr helft uns erst, wenn wir halb tot sind. Dann gebt ihr uns Prothesen.“
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln