Zum Buch:
Solingen in den frühen Siebzigern. Jedes Milieu hat seinen Franz: Die Linken auf dem DKP-Pressefest begeistern sich an Franz-Josef Degenhardts politischen Trotzliedern; das konservativ-bürgerliche Lager an den Stammtischen berauscht sich an Franz-Josef Strauss’ Parolen, und der politisch Teilnahmslose setzt auf Franz Beckenbauers Steilpässe. Kindheits- und Jugenderinnerungen zwischen Solingen und Saigon. Wie ein Kind diese biographischen Stationen erlebt und verarbeitet, vermittelt der 1964 geborene Autor Richard David Precht in seinem als Familienroman angelegten Buch Lenin kam nur bis Lüdenscheid. Gleichzeitig liefert er damit eine sehr plastische Kulturgeschichte der bundesrepublikanischen Linken vom gesellschaftlichen Aufbegehren Mitte der 60er Jahre bis in die Gegenwart. Naturfreunde und SDAJ-Kinderlager; Vietnamkrieg und Unidad Popular. Was heute wie Schlagworte aus einer zurückliegenden Episode emanzipativer Bewegungen klingt, prägte und sozialisierte den Autor durch sein Aufwachsen in einem politisch engagierten Elternhaus. Im Gegensatz zu vielen Kindern seiner Generation hatte dies für den Erzähler nicht nur allabendlichen Nachrichtenwert in der Tagesschau, sondern wird erstmals exemplarisch am Schicksal seiner zwei Adoptionsgeschwister, die seine Eltern aus der Hölle von Saigon retten, erlebt. So wie dieses Schlüsselerlebnis seiner Kindheit, verortet der Autor das politisch motivierte Handeln der elterlichen Generation nicht als Modeerscheinung, wie es heutzutage häufig verkürzt dargestellt wird, sondern immer im Kontext der gesellschaftlichen Verhältnisse. Dabei dominiert Respekt vor den Werten, dem Weltbild und der Lebensweise der Eltern, der sich durch eine ironisch-liebevolle und kritisch-hinterfragende, aber niemals diffamierende Erzählweise auszeichnet. Die Kämpfe der Erwachsenen werden nicht nur durch die Brille des Kindes erfahren und geschildert, sondern werden vom Protagonisten verinnerlicht und in seiner kindlichen und jugendlichen Lebenswelt ausgetragen. Es gelingt Richard David Precht durch seinen pointierten Blick, diese sicher nicht exemplarische deutsche Familiengeschichte auf höchst amüsante und anregende Weise zu erzählen und den LeserInnen mit viel Sinn für das damalige Zeitkolorit an seiner eigenen Biographie teilhaben zu lassen. Alexander Rumpel, Der andere Buchladen Köln