Zum Buch:
Termingerecht wie immer bei „runden“ Geburts- oder Todestagen bedeutender Persönlichkeiten lancieren die Verlage die entsprechenden Biographien. Diesmal ist es also Camus, und da ich das bin, was Verlage gern als „interessierter Laie“ bezeichnen, habe ich das Buch von Iris Radisch ausgewählt und – soviel gleich vorab – war gefesselt von der ersten bis zur letzten Seite.
Albert Camus wurde 1913 in Algerien geboren. Sein Vater fiel kurz darauf im 1. Weltkrieg und er wuchs unter ärmlichen Verhältnissen in Algier auf. Zusammen mit seiner fast stummen, gefühlsarmen Mutter, einem ebenfalls stummen Onkel und der Großmutter, einer groben und harten Frau, die die Familie dominierte und den Knaben mit dem Ochsenziemer prügelte. Dass er sich aus diesen Verhältnissen lösen konnte, verdankt er seinem Lehrer, der den Knaben förderte und sich dafür einsetzte, dass er das Gymnasium besuchen konnte.
Es mit dieser Herkunft bis zum Nobelpreisträger zu bringen, ist schier unglaublich. Ganz gelöst hat Camus sich daraus nie, und die Widersprüche seines Lebens, das zeigt Radischs Buch klar, resultieren daraus. Seine Heimat Algerien, das Leben in Armut und Härte, das Mittelmeer, die Sonne in ihrer Schönheit und Unerbittlichkeit und das Zusammenleben mit den Arabern prägen seine Bücher und seine „Philosophie der Einfachheit“. Sie prägen auch seinen literarischen Stil.
Camus prangert das Elend an, in das die Kolonialherren die arabische Bevölkerung zwingt – den algerischen Unabhängigkeitskampf wird er nie unterstützen. Er kämpft im 2. Weltkrieg in der Résistance – mit dem Marxismus als Gegenposition zum Faschismus wird er sich nie anfreunden. Er wird, selbst als er wegen seiner Bücher und Artikel zu großer Berühmtheit gelangt, immer zwischen den Stühlen sitzen. Die linken Intellektuellen der Nachkriegszeit verachten ihn, weil er sich angesichts der sowjetischen Lager gegen den Marxismus wendet. Seine Ablehnung von Gewalt und Totalitarismus wird lächerlich gemacht, seine Philosophie nicht ernst genommen. Die Anerkennung, die er im konservativen Lager findet, ist ihm suspekt. Dass er mit seinen Positionen Recht behalten hat und damit aktueller ist denn je, ist die Tragik seines Lebens.
Selbst im privaten Leben findet er keine Ruhe. Er lebt in der intellektuellen Metropole Paris und sehnt sich nach dem Licht seiner Heimat. Er heiratet, bekommt Kinder und hat doch ständig mehrere Geliebte parallel. 1960, nur 47 Jahre al, stirbt Camus bei einem Autounfall.
Iris Radisch hat die einzelnen Kapitel des Buches mit Camus’ zehn Lieblingswörtern Welt, Schmerz, Erde, Mutter, Menschen, Wüste, Ehre, Elend, Sommer und Meer überschrieben. Ihre Biographie verschränkt Leben und Werk und liest sich ungemein erhellend und spannend. Zum Glück verfällt die Autorin nie in kritiklose Huldigung; mit Witz und Ironie blickt sie auf die Widersprüche, das Machotum, die blinden Flecken in Camus’ Leben und Werk, ohne das Zerrissene und Tragische auszuklammern. Mir hat das Buch Lust gemacht, endlich mehr als nur „Der Fremde“ und „Die Pest“ lesen zu wollen. Was will man mehr?
Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt