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Autor
Radisch, Iris

Camus

Untertitel
Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie
Beschreibung

Vor 100 Jahren wurde Albert Camus in Algerien geboren. Sein Vater fiel kurz darauf im 1. Weltkrieg, und er wuchs unter ärmlichen Verhältnissen in Algerien auf, zusammen mit seiner fast stummen, gefühlsarmen Mutter, einem ebenfalls stummen Onkel und der Großmutter, einer groben und harten Frau, die die Familie dominierte. Nichts deutete darauf hin, dass er zu einem der bekanntesten und umstrittensten Philosophen und Publizisten Frankreichs werden würde. Und alles in seinem Werk und seinem Leben zeigt, dass er diese Kindheit nie hinter sich gelassen hat. Iris Radisch hat in ihrer Biographie Camus‘ Leben und Werk in Beziehung gesetzt. Ihr Buch ist erhellend und fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Rowohlt Verlag, 2013
Format
Gebunden
Seiten
352 Seiten
ISBN/EAN
9783498057893
Preis
19,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Iris Radisch, geb. 1959 in Berlin, arbeitet als Literaturredakteurin bei der Wochenzeitung ‘Die Zeit’. Sie hielt Gastprofessuren in St. Louis und Göttingen und ist 2007 zum vierten Mal Vorsitzende der Klagenfurter Jury. Seit Herbst 2006 moderiert sie für das Schweizer Fernsehen und 3sat die Büchersendung ‘Literaturclub’.

Zum Buch:

Termingerecht wie immer bei „runden“ Geburts- oder Todestagen bedeutender Persönlichkeiten lancieren die Verlage die entsprechenden Biographien. Diesmal ist es also Camus, und da ich das bin, was Verlage gern als „interessierter Laie“ bezeichnen, habe ich das Buch von Iris Radisch ausgewählt und – soviel gleich vorab – war gefesselt von der ersten bis zur letzten Seite.

Albert Camus wurde 1913 in Algerien geboren. Sein Vater fiel kurz darauf im 1. Weltkrieg und er wuchs unter ärmlichen Verhältnissen in Algier auf. Zusammen mit seiner fast stummen, gefühlsarmen Mutter, einem ebenfalls stummen Onkel und der Großmutter, einer groben und harten Frau, die die Familie dominierte und den Knaben mit dem Ochsenziemer prügelte. Dass er sich aus diesen Verhältnissen lösen konnte, verdankt er seinem Lehrer, der den Knaben förderte und sich dafür einsetzte, dass er das Gymnasium besuchen konnte.

Es mit dieser Herkunft bis zum Nobelpreisträger zu bringen, ist schier unglaublich. Ganz gelöst hat Camus sich daraus nie, und die Widersprüche seines Lebens, das zeigt Radischs Buch klar, resultieren daraus. Seine Heimat Algerien, das Leben in Armut und Härte, das Mittelmeer, die Sonne in ihrer Schönheit und Unerbittlichkeit und das Zusammenleben mit den Arabern prägen seine Bücher und seine „Philosophie der Einfachheit“. Sie prägen auch seinen literarischen Stil.

Camus prangert das Elend an, in das die Kolonialherren die arabische Bevölkerung zwingt – den algerischen Unabhängigkeitskampf wird er nie unterstützen. Er kämpft im 2. Weltkrieg in der Résistance – mit dem Marxismus als Gegenposition zum Faschismus wird er sich nie anfreunden. Er wird, selbst als er wegen seiner Bücher und Artikel zu großer Berühmtheit gelangt, immer zwischen den Stühlen sitzen. Die linken Intellektuellen der Nachkriegszeit verachten ihn, weil er sich angesichts der sowjetischen Lager gegen den Marxismus wendet. Seine Ablehnung von Gewalt und Totalitarismus wird lächerlich gemacht, seine Philosophie nicht ernst genommen. Die Anerkennung, die er im konservativen Lager findet, ist ihm suspekt. Dass er mit seinen Positionen Recht behalten hat und damit aktueller ist denn je, ist die Tragik seines Lebens.

Selbst im privaten Leben findet er keine Ruhe. Er lebt in der intellektuellen Metropole Paris und sehnt sich nach dem Licht seiner Heimat. Er heiratet, bekommt Kinder und hat doch ständig mehrere Geliebte parallel. 1960, nur 47 Jahre al, stirbt Camus bei einem Autounfall.

Iris Radisch hat die einzelnen Kapitel des Buches mit Camus’ zehn Lieblingswörtern Welt, Schmerz, Erde, Mutter, Menschen, Wüste, Ehre, Elend, Sommer und Meer überschrieben. Ihre Biographie verschränkt Leben und Werk und liest sich ungemein erhellend und spannend. Zum Glück verfällt die Autorin nie in kritiklose Huldigung; mit Witz und Ironie blickt sie auf die Widersprüche, das Machotum, die blinden Flecken in Camus’ Leben und Werk, ohne das Zerrissene und Tragische auszuklammern. Mir hat das Buch Lust gemacht, endlich mehr als nur „Der Fremde“ und „Die Pest“ lesen zu wollen. Was will man mehr?

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt