Zum Buch:
Als Redakteurin der Berliner tageszeitung ist die Autorin in der Regel an eher kurze Formate gebunden. Dass sie sich diesem Thema ausführlicher gewidmet hat, ist verdienstvoll, zumal da Heide Oestreichs professionell journalistischer Zugriff sich durch die wohltuende Distanz auszeichnet, die zahlreiche andere öffentliche Stellungnahmen zu der umstrittenen Textilie in den vergangenen Monaten vermissen ließen. Nach einer knappen Einführung zur Praxis der Verschleierung in Geschichte und Gegenwart islamischer Gesellschaften zeichnet Oestreich die Entwicklung des prominentesten Kopftuchstreits in Deutschland nach, das ist die Verfassungsklage der muslimischen Lehrerin Fereshta Ludin gegen das Land Baden-Württemberg, das ihr die Übernahme in den Schuldienst mit Kopftuch verweigerte. Die grundrechtliche Konfliktkonstellation, mit der sich das Bundesverfassungsgericht befasst hat, wird ebenso sorgfältig referiert wie die Diskussionen um gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten, die an das Verfassungsgerichtsurteil vom September 2003 anschlossen. Dabei wird das Spektrum der zivilgesellschaftlichen und politischen Akteure, die sich in der Folge dazu äußerten, welche Konsequenzen das Urteil zeitigen solle, in seiner ganzen Breite und auch der ungewöhnlichen Zerrissenheit der Meinungen wiedergegeben. Auch die uneinheitlichen Positionen der islamischen Verbände in Deutschland werden vorgestellt. Dabei deutet sich bereits an, was noch stärker aus dem Kapitel des Buches spricht, das die Kopftuch-Trägerinnen selbst fokussiert: Das Tuch ist nicht nur Projektionsfläche par excellence, an dem sich die Geister quer zu allen gewohnten Konstellationen scheiden; es wird auch aus so verschiedenartigen Gründen angelegt, dass eine einfache Antwort auf die Frage, welche Bedeutung es transportiert, unmöglich ist. Was also tun? Soll man Lehrerinnen das Kopftuch aufgrund seiner Vieldeutigkeit verbieten oder es aus genau diesem Grund tolerieren? Wie im öffentlichen Raum mit Symbolen des Glaubens oder einer Weltanschauung umzugehen sei, ist eine Frage, die nicht nur in Deutschland anlässlich muslimischer Kopftücher aufs Neue diskutiert wurde. Oestreich weitet die Perspektive dem entsprechend, indem sie einen kurzen Blick darauf wirft, wie europäische Nachbarländer sich zu dem Problem verhalten. Solche Blicke über den deutschen Tellerrand sind stets lehrreich; freilich lassen sich die nationalen Besonderheiten nicht einfach übergehen und keine der Regelungen, die man anderswo gefunden hat, ließen sich umstandslos auf die Bundesrepublik übertragen. Die Autorin plädiert abschließend für einen gelassenen Umgang mit der Differenz und gegen Kopftuchverbote, die möglicherweise vor allem diejenigen Frauen träfen, die den Islam in einer Weise zu modernisieren suchen, wie sie in Westeuropa allenthalben gefordert wird, nämlich hin zu mehr Frauenfreundlichkeit und zu einer kooperativen Haltung gegenüber dem freiheitlichen Rechtsstaat. Auch wer diesem Resümee nicht folgen mag, findet in dem Buch eine Fülle an Informationen und Argumenten, die zum Weiterdenken animieren und die notwendige Diskussion unaufgeregt zu führen helfen. Sabine Mannitz, Frankfurt.

