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Autor
Murck, Alfreda (Hg)

Maos Mango

Untertitel
Massenkult der Kulturrevolution
Beschreibung

Die Mango. Weniger die Frucht, wie man sie sich heutzutage als Dessert oder als Zugabe in einem exotisch angehauchten Longdrink mit kleinen bunten Schirmchen vorstellt, sondern vielmehr das handfeste politische Symbol eines desorientierten Wegbereiters mit gewinnendem Lächeln; eine „hausgemachte“ Reliquie, die die blinden Massen verehrten wie weiland die Kreuzfahrer einen schartigen Nagel aus dem Heiligen Kreuz. Darum geht es in diesem Buch. Man glaubt es nicht. Aber es ist alles wahr.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Scheidegger & Spiess, 2013
Format
Gebunden
Seiten
248 Seiten
ISBN/EAN
978-3-85881-367-1
Preis
38,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Alfreda Murck war von 1978 bis 1991 Kuratorin am Metropolitan Museum of Art in New York. Heute lebt und arbeitet sie als unabhängige Wissenschaftlerin in Beijing.

Zum Buch:

Ganz im Ernst: Wäre diese Geschichte hier frei erfunden worden, sagen wir mal von einem Autor mit enorm viel Einfallsreichtum und einem ausgeprägten Hang zu trockenem, skurrilem Humor, so wäre die geneigte Leserschaft unbestritten um einen verdammt witzigen Roman bereichert worden.
Aber diese Geschichte ist wahr.
Und es ist doch immer das Leben selbst, das die besten Geschichten erzählt.

Die meisten Mangos, die wir heutzutage bei einem x-beliebigen Discounter oder auf dem Wochenmarkt kaufen können, kommen aus Indien, dem Hauptproduzenten der süßen, exotischen Frucht. Der ranghöchste nächste Importeur ist China, wo Mangos ebenso leicht zu bekommen sind wie tausendjährige Eier, Glasnudeln oder frittierte Hühnerfüße. Doch das war nicht immer so, denn erst zu Beginn der Kulturrevolution hielt die bis dato völlig unbekannte Frucht ihren Einzug in das riesige Reich der Mitte.
Und das kam so:

Im August 1968 brachte der damalige pakistanische Außenminister – übrigens steht Pakistan heute erst an vierter Stelle der Hauptproduzenten, das nur nebenbei gesagt – bei seinem Staatsbesuch eine Kiste frischer Mangos mit und überreichte diese dem Großen Vorsitzenden Mao. Der bedankte sich herzlich lächelnd und hatte auch gleich eine passende Verwendung für das nette Geschenk: er schickte die Kiste, oder zumindest einen Teil davon, an eine renommierte Pekinger Universität weiter. Diese kurz vor der Meuterei stehende Universität war, in Maos Auftrag, einen Monat zuvor von mehreren tausend unbewaffneten Männern und Frauen in Besitz genommen worden, einer Bewegung, die sich die »Arbeiter- und Bauernpropagandatrupps zur Verbreitung der Maozedongideen« nannte und die das selbstlose Geschenk des Großen Vorsitzenden zu einer wahren Göttergabe hochstilisierte. Von nun an wurde die Mango (mangifera indica) im kommunistischen China geradezu in den Himmel gehoben, verherrlicht, glorifiziert. Die ihre roten Bibeln schwenkenden Vertreiber der »Maozedongideen« konnten zu den rebellierenden Studenten sagen: Seht her, schaut euch diese herrliche Frucht an, die hat der Große Vorsitzende vielleicht nicht erfunden, gut, aber er hat sie uns als Geschenk dargeboten, als Zeichen seiner allumfassenden Güte, und wenn das nicht der Hammer ist, dann …

Maos schlaue Rechnung ging auf wie ein Hefeteig auf dem Fensterbrett. Die verblendeten Massen wurden richtiggehend plattgewalzt von einer umfangreichen Propagandamaschinerie, die nicht einen Moment stillstand. Die Mango war von nun an nicht nur politische Aussage, sie wurde vielmehr zum Sinnbild einer neuen Richtung, einer neuen Religion, und entsprechend in puncto Merchandising regelrecht ausgeweidet, so dass Mangos auf einmal sogar Hauptbestandteil der traditionellen Hausaltäre wurden. Dann gab es diese Filme, zum Beispiel „Das Lied von der Mango“. Auf Prozessionen wurden von abnorm heiter erregten Massen Flaggen mit Mangoemblemen geschwenkt, und riesige Attrappen wurden wie der Einzug einer heidnischen Gottheit aus tausenden Kehlen frenetisch bejubelt. Es gab Teller mit Mangomotiv (von wegen: »Erst wenn du deine Suppe aufisst, und die Mango siehst, dann kannst du spielen gehen«), es gab halbrunde, mit entsprechenden Schriftzeichen verzierte Glasstürze, in denen, einer Reliquie gleich, auf einem Kissen aus rotem Samt eine Mango aus Wachs ruhte. Es gab Mangobettwäsche. Mangotassen. Anstecknadeln und was weiß ich noch alles. Die Mango war ein Hit, der letzte Schrei, so wie anderswo zu der Zeit lange Haare oder Miniröcke. Die Leute waren richtiggehend besessen davon.

Irgendwann war auch das vorbei. Und heute gibt es in Beijing Mangos an jeder Ecke zu kaufen, und keiner schert sich darum, wo das Zeug herkommt. Wahrscheinlich aus Indien.

„Maos Mango“ ist kein Ausstellungsband im herkömmlichen Sinn. Hier wird anhand von Texten, Fotos und Schautafeln ein Massenphänomen portraitiert – das in seiner Verschrobenheit, seiner bizarren Form der Verherrlichung uns Heutigen vielleicht extrem krass und blöde vorkommen mag, aber wenn man bedenkt, welche Macht solch ein Symbol zu der damaligen Zeit hatte, dann bleibt einem das Lachen im Hals stecken und es läuft es einem kalt über den Rücken. Die Ausstellung ist leider längst vorbei, aber das Buch ist für sich ein absoluter Hit. Auch als Geschenk prima geeignet. Für mich das Sachbuch des Jahres.

Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln