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Autor
Mukherjee, Siddhartha

Der König aller Krankheiten

Untertitel
Krebs – eine Biografie. Aus dem Englischen von Barbara Schaden
Beschreibung

Solange es Menschen gibt, werden sie die Tyrannei dieses Königs ertragen müssen. Dass das voluminöse, knapp 700 Seiten umfassende Werk des amerikanischen Onkologen Siddhartha Mukherjee in seiner Kernthese für den Leser nichts Tröstliches bereithält, tut der maßstabsetzenden Qualität seines Buchs keinen Abbruch. Man wird es, irritiert bis verstört, immer wieder beiseite legen, um es gleich wieder aufzuschlagen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
DuMont Buchverlag, 2012
Format
Gebunden
Seiten
670 Seiten
ISBN/EAN
978-3-8321-9644-8
Preis
26,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Siddhartha Mukherjee ist Krebsforscher und praktizierender Onkologe. Er ist Assistenzprofessor an der Columbia University und arbeitet am New York Presbyterian Hospital. Mukherjee studierte an der Stanford University, der University of Oxford, der Harvard Medical School und ist ein Rhodes Scholar. Regelmäßig veröffentlicht er Artikel in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften. Für ›Der König aller Krankheiten‹ erhielt er 2011 den Pulitzer-Preis. Mit seiner Frau und den gemeinsamen Töchtern lebt er in New York.

Zum Buch:

Solange es Menschen gibt, werden sie die Tyrannei dieses Königs ertragen müssen. Dass das voluminöse, knapp 700 Seiten umfassende Werk des amerikanischen Onkologen Siddhartha Mukherjee in seiner Kernthese für den Leser nichts Tröstliches bereithält, tut der maßstabsetzenden Qualität seines Buchs keinen Abbruch. Man wird es, irritiert bis verstört, immer wieder beiseite legen, um es gleich wieder aufzuschlagen, weil es im Oszillieren zwischen Fallgeschichte und wissenschaftlicher Debatte vor allem eines ist: ein sprachliches Meisterwerk, das 2011 zu recht mit dem Pulitzerpreis bedacht wurde und in seinem literarischen Rang neben Susan Sontags epochalem Essay Krankheit als Metapher bestehen kann.

„Medizin“, sagt Mukherjee, „ beginnt mit dem Erzählen von Geschichten. Patienten erzählen, um ihre Krankheit zu beschreiben; Ärzte erzählen, um sie zu verstehen.“ Um seine Tätigkeit und die Erzählung seiner Patienten zu verstehen, holt der Autor weit aus: die erste Beschreibung einer Krebserkrankung datiert zurück in das Jahr 2625 vor Christus und berichtet von „geschwollenen Massen in der Brust.“ Die letzte führt in die Praxis des Autors und beschreibt den sechsjährigen Behandlungs- und Leidensweg einer jungen Patientin, die keiner noch so quälenden Therapie ausgewichen ist. Ihr Wille, geheilt zu werden, habe sie auf eine seltsame, nicht enden wollende Odyssee geführt, durch Internet-Blogs und Lehrkrankenhäuser, Chemotherapien und klinische Studien sehr weit von zu Hause, durch Landschaften, die trostloser, verzweifelter und beunruhigender waren, als sie sich je hätte träumen lassen. Sie habe ihre gesamte Kraft und Energie aufgebraucht, habe all ihren Mut und Willen, Verstand und Einfallsreichtum mobilisiert, bis sie an diesem letzten Abend in das Reservoir ihrer Findigkeit und Widerstandskraft blickte und es leer fand. „In dieser qualvollen letzten Nacht“, so Mukherjee, „als sie nur noch an einem dünnen Faden am Leben hing und ihre Stärke und Würde aufbot, um sich mit ihrem Rollstuhl in die Privatheit ihres Bades zurückzuziehen, schien sie mir, als verkörpere sie das Wesen eines viertausendjährigen Krieges.“ Es ist dieser warm mitschwingende Ton eines mitleidenden Arztes, der sein Kriegsberichterstattung mit einem Stoff grundiert, der in der organmedizinischen Moderne rar geworden ist: humaner Gesittung.

Nach den neuesten Hochrechnungen des Robert-Koch-Instituts erkranken in diesem Jahr 486000 Menschen in Deutschland an Krebs. Dieses Buch wird ihre Bestürzung und Verzweiflung nicht mildern können, aber es ist zweifellos dazu angetan, den ihnen verbleibenden Freiheitsspielraum zu nutzen: für oder gegen Therapieformen, die der Brutalität der Erkrankung nicht selten den Rang ablaufen. Fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker? Wenn der Krebs, das unserem Genom eingepflanzte, „bleierne Gegengewicht unseres Strebens nach Unsterblichkeit“, ausbricht, stellt es ein Glück im Unglück dar, an einen Arzt zu geraten, dessen professioneller Ehrgeiz durch die Schule des Scheiterns gegangen ist. Siddhartha Mukherjee ist einer von ihnen.

Günter Franzen, Frankfurt am Main