Zum Buch:
Wagniskapital – sprach man über diese Form der Beteiligung an wachstumsträchtigen, aber risikobehafteten innovativen Unternehmungen eigentlich auch schon vor dem Neuen Markt, etwa gar zur Zeit der Jahrhundertwende? Ganz bestimmt, dies legt jedenfalls der Roman “Der Nebelfürst” von Martin Mosebach nahe. Auf einem altersschwachen Dampfer führt Mosebach uns und seinen unverdorbenen, gutmütigen jungen Helden Theodor Lerner mitten ins Nordpolarmeer, wo auf halber Strecke zwischen der Nordspitze Norwegens und Spitzbergen die herrenlose Bäreninsel liegt, die nur darauf wartet, aufgrund ihrer unermesslichen Boden- und sonstigen Schätze annektiert zu werden. Davon jedenfalls ist Frau Hanhaus überzeugt, eine souveräne, wendige Diplomatin in eigener Sache, die den ahnungslosen Lerner nicht nur für die abenteuerliche Eroberungsfahrt zu gewinnen versteht, sondern auch für die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens, das die Ausbeutungserträge der Eisfleckens Finanzgebern mit dem richtigen Gespür für zukunftsträchtige Anlagen schmackhaft machen will. Natürlich läßt die russische Flotte nicht lange auf sich warten, so dass die Diplomatie in Berlin und Sankt Petersburg fleißig Depeschen zu schreiben hat. Nun ist das Eis auf der Insel zwar dick, unter Lerners Füßen jedoch eher zart – es droht einige Mal, bei Frau Hanhaus ebenso einfalls- wie zahlreichen Versuchen, Geldgebern zu imponieren, unter der Last der Hochstapelei zusammenbrechen. Doch keine Bange, das Glück ist mit den Dummen. So viel sei verraten: Der Roman findet behutsam ein gutes Ende. Martin Mosebach erzählt eine wunderbar komische Geschichte, deren Kern auch noch wahr ist. Er malt ein detailfreudiges, wilhelminisches Stilleben mit Poufs, Schleifen, schönen weißen Schnurrbärten und Fettammern à la Rothschild, besorgt Gestalten, die manches Kuriositäten-Kabinett bereichern würden. Der Fundus an gewiss grotesken, dennoch überzeugenden Lebensweisheiten der Frau Hanhaus könnte ein umfassendes Lehrbuch für Hochstapler bilden. Den lebhaften Stil unterbricht ab und an ein Satzbau, der gestelzt und betont der Kolonialzeit nachempfunden wirkt. Dies fordert die Konzentration des Lesers und belohnt bei Erfolg mit feinstem Amüsement. Schade allerdings, dass Mosebach nicht den Mut hat, das Bären-Insel-Unternehmen vollständig ins Groteske zu führen. Der größte Teil des Buches handelt vom Scheitern der Hochstapler, dabei ist Hochstapelei eigentlich nur amüsant, wenn sie auch von Erfolg gekrönt wird. Und so ergeben sich am Ende deutliche Längen, die nur zu umgehen sind, wenn man Kapitel für Kapitel wie eine short story liest. Denn eins hat Martin Mosebach raus: jedes Kapitel endet wie ein guter Witz mit einer schönen Pointe. Martina Morawietz (Köln)

