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Autor
Keun, Irmgard

Kind aller Länder

Untertitel
Roman
Beschreibung

Irmgard Keun war schon eine Bestsellerautorin, als ihre Bücher in Deutschland verbrannt und verboten wurden. Keun besaß den Mut, 1935 beim Landgericht in Berlin Schadensersatzanspruch anzumelden, was sie zunächst ins Gefängnis, dann ins Exil führte. Hier musste sie fortan im Exilverlag publizieren, so auch 1938 »Kind aller Länder«.

Keun lässt die zehnjährige Kully von ihrem Leben in der Emigration erzählen. Ihr leichtfertiger, spiel- und verschwendungssüchtiger Vater steckt als Schriftsteller ständig in Geldnöten, die liebevolle Mutter ist oft mit der Tochter allein und amüsiert sich anderweitig. Da seine Bücher in Deutschland verboten sind, lebt der Vater von Zeitungsartikeln und immer neuen Vorschüssen seiner Auslandsverlage – und ist ständig, quer durch Europa, auf der Jagd nach Bargeld. Mutter und Tochter lässt er meist in Hotels zurück.

In einem kindlich-naiven Erzählton nimmt Kully uns in ihr rast- und heimatloses Leben mit und gibt tiefe Einblicke in die Situation der Emigranten in Europa.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2016
Format
Gebunden
Seiten
224 Seiten
ISBN/EAN
978-3-462-04897-1
Preis
17,99 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Irmgard Keun, geboren 1905 in Berlin, war nach dem Abschluss des Mädchenlyzeums und dem Besuch einer Handelsschule als Stenotypistin tätig, bevor sie in Köln die Schauspielschule besuchte. Ihre Schauspielkarriere beendete sie früh und veröffentlichte 1931 ihren ersten Roman »Gilgi, eine von uns«, der sie schlagartig berühmt machte. Der Verkaufserfolg ihres zweiten Romans »Das kunstseidene Mädchen« (1932) hält bis heute an. Nach dem Verbot ihrer Bücher und der Ablehnung ihrer Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer ging Keun ins Exil, zunächst nach Ostende, lebte und reiste zwei Jahre zusammen mit Joseph Roth und kehrte 1940 zurück nach Deutschland, wo sie bis 1945 in der Illegalität lebte. Ihre in der Emigration erschienenen Romane erwiesen sich als nahezu unverkäuflich, sie konnte in der Nachkriegszeit nicht mehr an ihre Erfolge anknüpfen und zog sich zurück. 1979 erlebte sie ihre späte Wiederentdeckung und starb 1982.

Zum Buch:

Irmgard Keun ist eine der namhaftesten Autorinnen der Weimarer Republik. Bereits ihr erster Roman wurde mit Brigitte Helm 1932 unter dem Titel »Eine von uns« verfilmt, und der zweite machte sie bis heute weltberühmt: »Das kunstseidene Mädchen«. Bekannt ist sie aber auch wegen ihrer Beziehung zu Joseph Roth, dessen Bücher wie auch ihre eigenen im nationalsozialistischen Deutschland verboten waren. Beide flohen ins Exil nach Ostende, wo sich bereits zahlreiche deutsche Autoren niedergelassen hatten – und mit ihnen Verleger und Lektoren. So auch der ehemalige Verlagsleiter von Kiepenheuer und Witsch, der in Amsterdam den deutschen Exilverlag Querido gründete. Hier publizierten u.a. Adorno und Horkheimer, beinahe sämtliche Manns und eben auch Joseph Roth und Irmgard Keun. 1938 erschien ihr Roman »Kind aller Länder«, der nun 2016 von der Keizersgracht 333 aus Amsterdam wieder nach Köln zum Kiepenheuer Verlag zurückgekehrt ist.

Wie schon in ihren vorangegangenen Romanen wählt Keun die Perspektive einer sehr jungen weiblichen Figur. Kully, die Protagonistin aus »Kind aller Länder«, ist mit ihren zehn Jahren – wie der Titel vermerkt – noch ein Kind und damit gut 10 Jahre jünger als Doris und Gilgi, die beiden Protagonistinnen aus den vorangegangenen Romanen. Sie ist mit ihren Eltern nach Belgien geflohen und lebt in wechselnden Hotels, dauernd in Geldnöten, auf den Vater wartend, der als Schriftsteller auf der Suche nach seinen Verlegern und neuen Geldgebern, auf der Suche nach neuen Vorschüssen durch Europa tingelt und dabei auch amourösen Abenteuern nicht abgeneigt ist. Mutter und Tochter sind dazu verdammt zu warten, zu hoffen, sich aushalten zu lassen in Restaurants und Hotels, bis der Geldgeber, der Vater, kommt und sie auslöst. Ihre Odyssee beginnt in Ostende, führt über Brüssel und Paris nach New York, wobei die Mutter wie ein Gepäckstück vergessen wird und nicht nachreisen kann, weil das Geld fehlt. Vater und Tochter reisen quer durch Amerika nach Virgina Beach und schließlich wieder zurück nach Amsterdam. Dass auch das nicht das Ende der Flucht sein wird, ist offensichtlich, und dass dieses »Kind aller Länder« das Wort Heimweh bekommen muss, ist nur logisch. Wie soll sich bei jemanden ein solches Gefühl einstellen, wenn er das Objekt der Sehnsucht, die Heimat, nie kennengelernt hat. Oder in den Worten Kullys: „Manchmal habe ich Heimweh, aber immer nach einem anderen Land.“

Aus diesen Erfahrungen des Exils, aus diesem Leben jenseits der Nationen, die zugleich mit ihren strengen Gesetzen das Leben der Heimatlosen gnadenlos beherrschen und zerstören, sind unschwer Keuns eigene Erfahrungen und Entbehrungen herauszulesen. Möglicherweise ist das Elternpaar als alter ego des Paars Roth-Keun zu deuten. Durch die Perspektive des Kindes, die Keun wählt, wird die unerträgliche Ungewissheit der Exilanten einerseits beinahe schwerelos und schicksalsergeben vermittelt (können sich Kinder doch in jede Situation beinahe mühelos einfügen, so lange Vater oder Mutter ihnen einen gewissen Halt zu geben vermögen), andererseits verstärkt sich aus diesem kindlichen Blickwinkel, der noch keine Zusammenhänge, keinen Überblick kennt, die Macht des Schicksals. „Meine Mutter will manchmal sterben, dann hat sie Ruhe und keine Angst mehr. Aber sie weiß nicht, was dann aus mir werden soll. Ich will noch nicht sterben, weil ich noch ein Kind bin. Meine Mutter möchte Zimmermädchen sein und arbeiten, damit sie Geld verdient. Aber die Länder erlauben es ihr nicht, dass sie ein Zimmermädchen ist.“ Dieses Warten, dieses endlose, unerträgliche Warten darauf, dass das Leben endlich losgeht, dass man endlich eine Heimat hat – das vermittelt Keuns Roman heute genauso wie schon 1938. Auch ohne die neue europäische Flüchtlingskrise wäre »Kind aller Länder« überaus lesenswert gewesen, so aber bekommt der Roman eine Aktualität, die man dem Thema eigentlich nicht mehr gewünscht hätte.

Ines Lauffer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt