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Autor
Hontschik, Bernd

Hippokrates for sale

Untertitel
Von der schleichenden Zerstörung des solidarischen Gesundheitswesens
Beschreibung

Heißt es nicht oft, wir hätten das beste Gesundheitssystem der Welt? Geht es uns nicht immer besser mit all der Vorsorge, den innovativen Medikamenten und bestens versicherten Gesundheitsrisiken?

Wenn man Hontschiks bewundernswert konzise und knappe Kapitel liest, vergeht einem nicht nur schnell der Humor, sondern auch die Zuversicht. Das ist nicht schön, aber gut so. Hontschik zeigt, dass die Errungenschaften und Leistungen eines in der Tat beachtlichen Solidarsystems in höchster Gefahr sind. Und dass es einen „Ruck durch Deutschland“ geben müsste, um diese verhängnisvolle Entwicklung aufzuhalten.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Weissbooks, 2014
Format
Gebunden
Seiten
130 Seiten
ISBN/EAN
9783863370381
Preis
12,99 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Bernd Hontschik, geboren 1952, lebt als Chirurg in Frankfurt am Main. Er ist Autor mehrerer Bücher und Herausgeber der Reihe MedizinHuman.

Zum Buch:

Und immer wieder schickt ihr mir Briefe,/ in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt:/ ›Herr Kästner, wo bleibt das Positive?‹/ Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt“, seufzte Erich Kästner 1930. Grund genug hatte der Dichter damals freilich, Beunruhigendes in Prosa und Poesie zu verbreiten. Die Nazis waren zweitstärkste Partei im Reichstag geworden und der Anfang vom Ende der Weimarer Demokratie zeichnete sich ab.

Dem praktizierenden Chirurg und zornigen Publizist Bernd Hontschik hat man angesichts seiner kritischen Kolumnen und Essays über den Zustand unseres Gesundheitswesens oft dieselbe Frage gestellt: „Wo bleibt das Positive?“ Heißt es nicht oft, wir hätten das beste Gesundheitssystem der Welt? Geht es uns nicht immer besser mit all der Vorsorge, den innovativen Medikamenten und bestens versicherten Gesundheitsrisiken? Sicher, wo Licht ist, ist auch Schatten, aber muss man gleich „die schleichende Zerstörung des solidarischen Gesundheitswesens“ an die Wand malen? – Wenn man Hontschiks bewundernswert konzise und knappe Kapitel liest, vergeht einem nicht nur schnell der Humor, sondern auch die Zuversicht. Das ist nicht schön, aber gut so. Hontschik zeigt, dass die Errungenschaften und Leistungen eines in der Tat beachtlichen Solidarsystems in höchster Gefahr sind. Und dass es einen „Ruck durch Deutschland“ geben müsste, um diese verhängnisvolle Entwicklung aufzuhalten.

Aber was sind die Elemente des gesundheitspolitischen Desasters, das uns droht? Der Kernsatz des Buches lautet „Nicht mehr der Kranke ist der Gegenstand der Medizin, der Heilkunst, sondern die Krankheit wird zum Gegenstand eines profitablen Wirtschaftsprogramms“. Und es ist dieses Verdikt, das Hontschik in 35 Schlaglichtern mit Beispielen untermauert, mit Anekdoten aus der eigenen Praxis illustriert und mit wissenschaftlichen Studien belegt: Ob es die Leistungsvereinbarungen in den zunehmend privatisierten Kliniken sind, die dazu Anreiz bieten, ohne belastbare Indikation möglichst viel zu operieren und die Patienten „blutig“ zu entlassen, weil die Leistungspauschalen keine längeren Liegezeiten zulassen. Ob es die Panikmache der Pharmaindustrie angesichts scheinbar drohender Seuchen ist, für die schleunigst ein Impfstoff entwickelt, von Regierungsstellen zu Millionenchargen aufgekauft und dann mangels Ausbruchs der Seuche gegen weitere Kosten umweltschonend verbrannt wird. Oder ob es die Verquickung von politischen Ämtern und gut dotierten Pharmalobby-Aktivitäten ist. Auch die eigene Zunft, in der nicht Wenige mit wissenschaftlich vollkommen unbestätigten „individuellen Gesundheitsleistungen“ schamlos gutgläubige Patienten abzocken, wird von Hontschiks Zorn nicht verschont – denn damit scheint die humane Orientierung, die wir Ärzte eigentlich in unserem Eid des Hippokrates gelobt haben, nun wohl zur Disposition zu stehen.

Neben der Frage nach dem Positiven könnte man Hontschik natürlich auch fragen: „Wo bleibt die Therapie?“ Es kann nicht das Anliegen des Buches sein, globale Rezepte zu entwickeln, wie der schleichenden Erosion des solidarischen Gesundheitswesens entgegengewirkt werden kann. Es will zunächst einmal warnen und aufrütteln, enthält aber dennoch erste Ansätze zur „Therapie“, wie etwa der Hinweis auf ein interessantes, aber tot geschwiegenes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das feststellt, dass gemeinwohlorientierte Handlungsspielräume nicht zugunsten einer „materiellen Privatisierung“ aufgegeben werden dürfen – was im Klartext bedeutet, dass Privatisierungsentscheidungen von einer Gemeinde gerichtlich angegriffen und womöglich ganz verhindert werden könnten.

Lösungen sind nicht „von oben“ zu erwarten. Es kommt auf uns BürgerInnen an, ob als Ärzte oder Patienten. Dazu muss aber zunächst der Finger auf die Wunde gelegt werden. Insofern wünsche ich mir, dass dem Buch eine weite Verbreitung beschieden sein möge – zu unser aller Wohl und zum Erhalt – in mancher Hinsicht schon zur Sanierung – eines Gesundheitswesens, das eigentlich auf guten Prämissen und Gedanken beruht.

Dr. med. Wulf Bertram, Stuttgart
(aus: Zeitschrift Dr. med Mabuse, Heft 211, Sept./Okt. 2014)