Zum Buch:
Als Alma Guillermoprieto im Herbst 1969 in New York von ihrem Lehrer Merce Cunningham gefragt wird, ob sie Modern Dance in Havanna unterrichten will, ist der Tanz ihr Leben. Und Merces Anfrage eine Niederlage. Denn das bedeutet, dass Merce sie nie in seine Truppe aufnehmen wird. Am 1. Mai 1970 landet Alma in Havanna. Sie ist blutjung und kennt in Cuba keinen Menschen außer der Direktorin der kubanischen Schule, die sie eher unsympathisch findet. Die Insel Fidel Castros betritt Alma mit einer äußerst diffusen politischen Haltung, die allenfalls davon geprägt ist, dass für sie als gebürtige Mexikanerin aus intellektuellen Kreisen “die kubanische Revolution das Gute repräsentierte und die Regierung der Vereinigten Staaten das Böse”. Was sie in Cubanaçan erwartet: “Keine Musik, katastrophale Akustik, schlecht verpflegte Studenten” – und: keine Spiegel im Übungsraum. Denn Spiegel gelten als Symbol der Eitelkeit und Dekadenz. Dass Alma trotzdem fast ein halbes Jahr an der Schule bleibt, liegt an den Menschen, denen sie begegnet: an ihren Schülern, an homosexuellen Freunden, die auch noch zu den Idealen der Revolution stehen, nachdem sie mit Priestern und Künstlern in UMAPs, Arbeitslager, gesteckt worden waren. Und es liegt daran, dass Alma sich einem Konflikt stellt, der in jedem Leben auftaucht: der Frage nach der eignen politischen und gesellschaftlichen Verantwortung im Angesicht des von Menschen angerichteten Unheils in dieser Welt. Was bedeutet es schon noch, ohne Spiegel tanzen zu müssen, wenn man im Kino in der Wochenschau Bilder napalmverbrannter Leichen von Vietnamesen gesehen hat? Was kann dann Tanz überhaupt noch bedeuten?
Alma Guillermoprieto nimmt den Leser in ihren Erinnerungen mit nach Kuba und lässt ihn die Kultur, die Probleme, die Revolution im Spiegel ihres eigenen Alltags, ihrer Gefühle und Gedanken erleben. Eine wunderbares, aufrichtiges Buch, das dem Leben auf Kuba im Jahr 1970 so nahe kommt, wie es nur geht; ein Buch, das mehr Fragen stellt, als Antworten zu geben; ein Buch, in dem Vorurteile so lautlos zerplatzen wie Seifenblasen.
Was Alma Guillermoprieto von ihrer Zeit auf Kuba geblieben ist? Neben einem Kästchen aus Tropenholz, einem Spiralblock und einem Paar Ohrringen diese wertvollen Erinnerungen, die sich wie das Tagebuch einer Initiation lesen. Denn aus der Tänzerin ist eine Autorität auf dem Gebiet der politischen Reportage geworden. Die Autorin lebt heute in der mexikanischen Hauptstadt und berichtet seit mehr als 20 Jahren für den “New Yorker” und die “New York Times Book Review” aus Lateinamerika.
Susanne Rikl, München