Zur Autorin/Zum Autor:
Richard Ford wurde 1944 in Jackson, Mississippi, geboren und lebt heute in Maine. Er hat sieben Romane sowie Novellen, Kurzgeschichten und Essays veröffentlicht. 1996 erhielt er für Unabhängigkeitstag den Pulitzer Prize.
Illegaler Handel, ein Banküberfall, drei Morde – um nicht weniger geht es in Richard Fords sprach- und bildgewaltigem neuem Roman. Dells Eltern sind nach einem gescheiterten Banküberfall in Montana festgenommen worden; er selbst ist zu seinem Schutz nach Kanada gebracht worden. Nun trifft er dort in einem einsamen Städtchen auf eine merkwürdige Schar. Bei Arthur Remlinger kann er unterschlüpfen – doch der Besitzer eines heruntergekommenen Jagdhotels erweist sich als ein Mann mit dunkler Vergangenheit. Inmitten der überwältigenden Landschaft von Saskatchewan entfaltet sich die Geschichte einer schmerzvollen Passage in die Welt der Erwachsenen, wo es keine Unschuldigen geben kann.
(ausführliche Besprechung unten)
Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Bald nachdem Dell Parsons Vater Bev, ein großgewachsener, gutaussehender Landbursche aus Alabama, aus der Air Force entlassen wird, hat für die Parsons das jahrelange Umherziehen von einem Standort zum nächsten ein Ende. Sie lassen sich in Great Falls, einer Kleinstadt in Montana, nieder, wo Bev zunächst als Autoverkäufer und, als das nicht hinhaut, schließlich als Immobilienmakler arbeitet. Dell ist mittlerweile fünfzehn, ein aufgeweckter Junge, der zwar keine nennenswerten Freunde hat. Der sich dafür aber umso besser mit seiner Zwillingsschwester Berner versteht. Seine Mutter, Neeva (kurz für Geneva) stammt aus einer jüdischen Immigrantenfamilie aus Washington D. C., sie ist eher klein, unscheinbar, aber enorm gebildet, mit einem Hang zur Lyrik. Ein Ehepaar, und das gilt beinahe schon als Familienwitz, das verschiedener nicht sein kann.
Da das Geschäft mit den Landverkäufen zusehends schlechter läuft, betreibt Dells Vater nebenbei einen Handel mit ein paar Indianern, Viehdieben, mit deren Hilfe er illegal Frischfleisch an die Eisenbahn verkauft. Der Schwindel fliegt natürlich auf, und als die Indianer die Familie bedrohen, fühlt Bev sich in die Enge getrieben und sieht nur noch einen einzigen Ausweg: Er plant einen Bankraub. Und das ausgerechnet zusammen mit Neeva.
Doch der Plan, den sie ausgeheckt haben, ist völlig lächerlich und so dauert es nicht lange, und die Polizei steht vor der Tür, um Dells Eltern zu verhaften. Er wird sie nur noch einmal sehen, im Knast. Dann nie mehr. Auf sich allein gestellt, beschließen die beiden Jugendlichen, dem Zugriff der Behörden zu entfliehen. Bender macht sich mitten in der Nacht aus dem Staub Richtung Ostküste. Dell wird von einer Bekannten seiner Mutter über die nahe Grenze nach Kanada gebracht, um dort bei deren Bruder zu arbeiten, und er muss bald schon begreifen lernen, dass es niemanden gibt, der ohne Schuld ist.
Nun, das hört sich jetzt vielleicht ganz danach an, als ob hier viel zu viel verraten worden wäre, aber dem ist nicht so, wirklich nicht, denn schon in den ersten paar Sätzen des Romans wird der Leser über die Gegebenheiten der nun folgenden Geschichte aufgeklärt, was zählt, ist dann allein „wie“ und „wieso“ das alles überhaupt passiert ist bzw. passieren konnte. Und das ist absolut meisterhaft erzählt. Ich war völlig erstaunt über diese so scheinbar leichte, ungemein flüssige und klare Erzählweise, mit der Richard Ford seinen Protagonisten Dell als alten Mann auf die Geschehnisse zurückblicken lässt, und noch während ich las („Kanada“ war mein erstes Buch von Ford) bestellte ich mir gleich drei weitere Bücher aus dessen Werk, denn diese Sprache ist schlicht und einfach vollendet. „Kanada“ gehört mit Abstand zu den besten Büchern in diesem Lesejahr, ich kann es Ihnen nur wärmstens empfehlen.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln