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Autor
Wieland, Karin

Das Geschlecht der Seele

Untertitel
Hugo von Hofmannsthal, Bert Brecht und die Erscheinung der modernen Frau
Beschreibung

Ende des 19. Jahrhunderts betritt ein neuer Typ Frau die Bühne der deutschsprachigen Theater, und ein tiefgreifender Wandel in Darstellung, Sprache und Ausdruck vollzieht sich. Aus deklamierenden Darstellern werden Interpretinnen extremer menschlicher Gefühle, die auch vor Hässlichkeit und Elend nicht zurückschrecken. Ihre Schöpfer sind der Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal und der Regisseur Max Reinhardt. Unter deren Nachfolgern ist der bekannteste Bertold Brecht. Die moderne Frau ist geboren, und mit ihr ändert sich das Verhältnis der Geschlechter. Dieser Wandel macht an der Rampe der Bühne nicht halt.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Hanser Verlag, 2017
Format
Gebunden
Seiten
304 Seiten
ISBN/EAN
978-3-446-25674-3
Preis
25,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Karin Wieland, 1958 geboren, studierte Politische Wissenschaften mit Schwerpunkt Politische Theorie und Ideengeschichte an der Freien Universität Berlin. Sie lebt als Schriftstellerin in Berlin.

Zum Buch:

Zu Beginn des 20 Jahrhunderts beginnt ein Wandel auf den Bühnen der dem Bildungsideal verpflichteten deutschsprachigen Theater. Er zeigt sich in der Abkehr vom hohen, deklamierenden Ton und der bis dahin vorherrschenden, theatralischen Gestik. Der Österreicher Hugo von Hofmannsthal ist der erste Dramatiker, der etwas völlig Neues wagt: In einer Zeit, in der die Gesellschaft Frauen in ihre Korsetts einzwängt und ihre Gefühle unterdrückt, sprengt er alles Dagewesene mit seinem ersten Drama, der „Elektra“. Mit der jungen Schauspielerin Gertrud Eysoldt steht ein fast androgynes Wesen auf der Bühne, das aus nichts als seinen Gefühlen zu bestehen scheint, aus Trauer, Hass und Rache, ein Wesen, das schreit und winselt, kriecht und sich windet. Der Erfolg ist riesig, und nichts ist mehr wie vorher. Die „Moderne Frau“ ist geboren. Zusammen mit dem Regisseur Max Reinhardt hat Hofmannsthal Theatergeschichte geschrieben.

Zwanzig Jahre später wird der Autor und Regisseur Bertold Brecht diesen Typus weiter entwickeln. In einer Zeit, die von der wirtschaftlichen Not nach dem ersten Weltkrieg und von Finanzkrächen erschüttert ist, erfindet er ein Theater, das auf „expressionistische Gefühlsextasen, mystische Beschwörungen und hysterische Ausbrüche“ verzichtet. Er bevorzugt Sachlichkeit und kühle Analyse und erfindet die „kalte Frau“, ein Wesen, dessen Gefühlshaushalt den Marktgesetzen zu folgen scheint. Seine Darstellerinnen Carola Neher und Helene Weigel verkörpern Frauen, für die auch in der Liebe der persönliche Nutzen im Vordergrund steht. Hier wird das Verhältnis der Geschlechter revolutioniert, und das nicht nur auf den Bühnenbrettern, sondern auch in Brechts Privatleben. Bis dann die Nationalsozialisten kommen und mit ihnen die „Rolle Rückwärts“ für die Frauen.

Das Geschlecht der Seele ist ungeheuer unterhaltsam. Das ist eine große Stärke, aber auch eine Schwäche des Buches. Lebendig und plastisch beschreibt Wieland die beiden Hauptprotagonisten ihres Buches, ihren biografischen Hintergrund, aber auch die Menschen, die für ihren Werdegang wichtig waren. Hofmannsthals Beziehungen zu Stefan George, Max Reinhardt und Gertrud Eysoldt, Brechts zu Carola Neher und Helene Weigel werden ausführlich dargestellt, und es gelingt der Autorin, die Erschütterungen zu zeigen, die das Erscheinen der „neuen Frauen“ auf der Bühne begleitete. Leider geht das Buch wenig darüber hinaus. Wielands These, wonach Hofmannsthals und Brechts Bühnengeschöpfe prägend für die Frauen ihrer Zeit waren, hätte man gerne ein wenig mehr unterfüttert gesehen. Aber das ist nur eine kleine Einschränkung, denn man liest das Buch trotzdem mit großem Vergnügen.

Ruth Roebke, Bochum