Zum Buch:
Kino. Das Licht im Saal geht aus. Das Licht auf der Leinwand geht an. Leises Rauschen des Projektors. Film ab: „Auf der Leinwand sehen wir einen lichten verschneiten Wald“ … Aber da ist keine Leinwand und auch kein Kino, sondern nur ein Buch, das es nach nur kurzer Verwirrung schafft, Buchstaben in Bilder zu verwandeln und Anfang und Blütezeit eines einst völlig neuen Mediums im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen zu führen.
Wir befinden uns im winterlichen Klosters in den Schweizer Bergen im Jahr 1969, dem saisonalen Refugium von Erika Mann, ihrer letzten Lebensgefährtin Signe von Scanzoni, Salka Viertel und Greta Garbo. Die vier treffen sich in verschiedenen Konstellationen, reden, gehen spazieren, streiten sich und tauschen Erinnerungen aus: an erste Begegnungen im Berlin der zwanziger Jahre, als Erika sich als Schauspielerin versuchte und Gretas Gösta Berling Premiere hatte. Klaus Mann ist dabei, der Regisseur Stiller, Pamela Wedekind und Marlene Dietrich, die sich als Kinogeigerin und Komparsin durchschlägt und als absolut unbegabte Schauspielerin gilt. Erinnerungen an die Zeit in Hollywood, den Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm und seinem Siegeszug, an Murnau, Lubitsch, Pabst, von Sternberg, Eisenstein, an den Kampf gegen die Nazis, die Emigration, den Einfluss der deutschen Regisseure und Drehbuchschreiber auf die Entwicklung des Kinos, die McCarthy-Zeit.
Erzählt wird das alles durch eine wunderbare literarische Umsetzung filmischer Mittel: Rückblende, Parallelmontage, Groß- und Panoramaaufnahmen, was immer das Cineastenherz begehrt, mit großen Zeitsprüngen und liebevollen Details. Im Dunkel ist eine Screwball-Komödie reinsten Wassers: Es geht um Klatsch und Tratsch unter Eingeweihten, um die, wie man heute sagen würde, „queeren“ Dramen, Liebschaften und Zickenkriege, um Eifersüchteleien und politische Differenzen. Das ist gründlich recherchiert, liest sich grandios, ist zu großen Teilen umwerfend komisch und immer große Unterhaltung.
Ein Buch für Cineasten also? Zweifellos. Aber für alle, die die meisten Namen erst einmal googeln werden müssen, weil sie verständlicherweise all die Gesichter und Bilder kaum oder gar nicht mehr kennen, ebenfalls dringend zu empfehlen. Beschreibt doch Im Dunkel auch, wie ein revolutionäres neues Medium – und der Film war im Grunde das erste wirklich neue Medium seit der Erfindung des Buchdrucks – vor allem die Wahrnehmung und letztlich auch die Wirklichkeit der Menschen verändert und das Tor zu bis dahin unvorstellbarer Propaganda aufgestoßen hat, ob von deutschen Militärs im ersten Weltkrieg, von Sowjetkommunisten, Nazis oder kapitalistischen Großkonzernen. Und so verweist das Buch immer auch auf die heutige mediale Revolution und warnt damit vor deren Auswirkungen auf Wahrnehmung und Wirklichkeit, deren Folgen immer deutlicher werden.
Irmgard Hölscher, Frankfurt a. M.