Zum Buch:
Wer in der weißen Unendlichkeit der kanadischen Arktis geboren wird, braucht schon als Kind die geschärften Klauen und die Knurrzähne der im Eis umherstreunenden Füchse. Denn den Jugendlichen fehlt der Schutz der Ahnen und der Trost des Universums. In dieser kraftvollen Geschichte einer Kindheit am Ufer des Eismeers sucht ein mutiges Mädchen, noch halb Kind und schon halb Frau, in der Vergangenheit ihres Volkes nach einer Zukunft für die nächste Generation.
Sie ist Mitte der 1970er-Jahre gerade einmal elf. In ihrem auf Stelzen gebauten Elternhaus sind der Alkohol, laute Countrymusik und grundlose Gewalt Dauergäste, betrunkene Männer im Mädchenschlafzimmer die Regel. Wenn die Temperaturen am Ende des Winters über den Gefrierpunkt klettern, treibt es die Kinder hinaus auf die Straßen, hinaus in die Tundra. Lebensgefährlich sind dann die Spiele der umherstreunenden Banden.
Auch später, als Jugendliche, tasten sie sich in langen hellen Sommernächten Butangas schnüffelnd an die Grenze zwischen Leben und Tod. In der Residential School nennt die namenlose Erzählerin das Mädchen, das in ihrer Klasse das Sagen hat, „Alpha“, ihre beste Freundin ist ein „Akkupack“, und „Bestboy“ heißt in ihren Geschichten der Junge, in den alle verliebt sind. Die wahren Identitäten der Jugendlichen bleiben im Verborgenen. Ganz nebenbei wird von anglikanischen Pfarrern erzählt, die die Beisetzung von Schamanen auf dem Friedhof verweigern, von der Gier nach Fortschritt, nach Geld und Gott und weißer Haut; es trifft umso tiefer. Heilend wirkt das Eintauchen in die Natur, aber auch hier ist die gewaltige Kraft nur noch zu erahnen, mit der der Wind früher, ungehindert vom Christentum, über das Land gefegt ist.
In Tagen und Nächten der Einsamkeit sucht die Erzählerin die Begegnung mit den Geistern der Polarlichter und singt für sie; sie lernt Inuktitut und lässt Zeit und Raum hinter sich, wenn sie in die Mythen ihrer Vorfahren eintaucht.
Die Autorin, selbst eine Inuit und als Sängerin über die Grenzen Kanadas hinaus bekannt, wechselt in diesem beeindruckenden Debüt von poetischer in zuweilen rasiermesserscharfe Sprache. Es ist ihre Art, den schmerzlichen Spalt sichtbar zu machen, den die Weißen zwischen die Inuit und ihre Mythen getrieben haben. Eisfuchs ist ein poetischer Roman voll schmerzlicher Schönheit.
Susanne Rikl, München