Zum Buch:
Der vorliegende Band, herausgegeben und vorbildlich kommentiert von Wolfgang Schopf, enthält 345 Briefe. Am Anfang steht ein Schreiben Peter Suhrkamps an seine “liebe Mirl” vom 27. Mai 1935; der letzte Brief, ebenfalls von Suhrkamp verfasst, datiert auf den 1. Februar 1959. Die Briefpartner Peter Suhrkamp und Annemarie Seidel waren seit September 1935 ein Ehepaar. Hinter Suhrkamp lagen bereits drei gescheiterte Ehen, Seidel war von 1922 bis 1932 mit dem Niederländer Anthony van Hoboken verheiratet gewesen. Ein Ferienhaus in Kampen auf Sylt, das van Hoboken seiner Frau zum Geschenk machte, spielt eine nicht unwesentliche Rolle in den Briefen – die Insel als idealisierter Rückzugsort von den Unbilden der Zeit, von denen vor allem Peter Suhrkamp in Berlin stark betroffen war.
Die Korrespondenz ist unvollständig überliefert, es gibt offensichtliche Lücken, und über sehr weite Strecken liegen lediglich die Briefe Suhrkamps vor, die Gegenbriefe fehlen. Eine Ausnahme sind die Briefe Annemarie Seidels, die sie ihrem im April 1944 nach einer Denunziation verhafteten Ehemann ins Gefängnis schickte. Die Monate bis zu seiner Entlassung Anfang 1945 verbrachte Suhrkamp unter anderem im Konzentrationslager Ravensbrück und im Gestapo-Gefängnis in der Lehrter Straße in Berlin, fast bis zum Schluss in Ungewissheit über sein Schicksal.
Der Briefwechsel bietet nicht nur Einblicke in die Beziehung zwischen Suhrkamp und Seidel, die Briefe sind vor allem auch zeitgeschichtliche Dokumente, deren außerordentlicher Wert sich erst auf den zweiten Blick voll erschließt. Es geht dabei um die verlegerische Betätigung Suhrkamps, den Umgang mit Autoren, die Etablierung des eigenen Verlags in Frankfurt am Main nach dem Zweiten Weltkrieg, die schwierige Auseinandersetzung mit der Familie des Verlegers Samuel Fischer (zu der noch längst nicht alle Details bekannt sind). Die heikle Position Suhrkamps im nationalsozialistischen Deutschland lässt sich aus einem Großteil der Briefe herauslesen. Bemerkenswert erscheint, dass Suhrkamp auch unter den schwierigen Bedingungen der Haft 1944/45 in erster Linie an den Verlag, an seine Ehefrau und die Freunde denkt. Die Briefe dieser Zeit mussten freilich mit größtem Bedacht verfasst werden angesichts der Zensur, der sie unterlagen (zu lange und schwer lesbare Briefe ließ der Zensor zurückgehen …).
Erschlossen wird die Briefausgabe, die zu Peter Suhrkamps 125. Geburtstag erschienen ist, durch ein Personenregister und ein instruktives Nachwort von Wolfgang Schopf, von dem man sich als nächste Großtat vor allem eine Edition der Korrespondenz zwischen Gottfried Bermann Fischer und Peter Suhrkamp wünschen würde.
Björn Biester, Welterod