Zum Buch:
Mari, Tarik und Ahmad – drei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten:
Da ist Mari, die schüchterne Holländerin, die von der Archäologie zur Sozialarbeit gewechselt hat und sich kümmert. Die ein Projekt namens „Momo“ für Flüchtlinge ins Leben ruft – einen Garten in einer Kleingartenanlage, die den schönen Namen „Paradies“ trägt, in dem sich Flüchtlinge treffen, ein wenig entspannen, ein wenig heimatlich fühlen sollen.
Dann Ahmad, der junge Musiker aus Syrien, der sich von Maris Annäherungsversuchen zunächst angezogen fühlt, ihr auch dankbar ist, aber sich von ihrem ständigen Bemühen, alles richtig zu machen, alles zu verstehen, stets zu helfen, mehr und mehr erdrückt fühlt.
Und schließlich Tarik, der als Soldat politische Gefangene in einem Folterlager quälte und sich danach in in ein Dorf in den Bergen zurückzieht, in dem er sich bei der Waldbrandwache und beim Begraben verunglückter Flüchtlinge nützlich macht.
Maris und Ahmeds Beziehung scheitert; er verlässt sie ohne ein Wort, zurück bleibt nur seine Aktentasche und ein langer Brief, den sie nicht lesen kann. Der Kleingarten im „Paradies“ brennt bei einem Feuer aus. Mari besinnt sich auf ihren früheren Beruf, die Archäologie, und fliegt in den Mittleren Osten, um dort Höhlenmalereien ausfindig zu machen – ein Projekt, das in dem Dorf, in dem sie wohnt, auf völliges Unverständnis stößt. Aber um die Fremde nicht zu kränken und sie sich gleichzeitig vom Hals zu schaffen, gibt man ihr Tarik, der Englisch spricht, als Fremdenführer mit. Auf den Fahrten entsteht eine vordergründige, vorsichtige Nähe, ein Anflug von Vertrauen, so dass Mari ihn bittet, ihr Ahmads Brief zu übersetzen …
Versteeg erzählt aus drei Perspektiven in mit den jeweiligen Namen überschriebenen Teilen und knüpft ein dichtes Netz aus Bezügen, Widersprüchen, Missverständnissen, Wahrnehmungen. Die Fäden kreuzen sich bei Tarik, der mit Mari durch die gemeinsamen Fahrten und mit Ahmad durch die Übersetzung von dessen Geschichte verbunden ist, die wiederum bei ihm eigene Wunden aufreißt. Und Tarik ist schließlich auch derjenige, der seine eigene „goldene Stunde“ findet, wenn auch auf unerwartete Weise.
„Die goldene Stunde“ ist ein großartig geschriebener und großartig komponierter Roman über Menschen auf der Flucht, ob vor ihrer inneren Leere, ihrer Schuld oder vor dem Krieg, und über die Schwierigkeit, sich einander wirklich verständlich zu machen – und das in einer Sprache, die eben die Möglichkeit dieser Verständigung in sich trägt. Versteeg hat auf fast schon erschreckende Weise das Buch zur aktuellen politischen Situation geschrieben, das sich hoffentlich viele unter den Weihnachtsbaum legen (lassen).
Irmgard Höllscher, Frankfurt am Main