Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“, sagt Karl Valentin. Und er meint damit unter anderem auch Fremdheitserfahrungen, die ein Reisender macht, wenn er aus seinem bekannten in einen neuen Kontext eintaucht: Der Reisende begeg- net in fernen Ländern neuen Kulturen, Riten und Religionen und lernt auf diese Weise seine eigene Kultur und Religion besser kennen, indem er sich der Andersartigkeit bewusst wird. Vielfalt, Andersartigkeit, Fremdheit: All dem begegnen wir in Zeiten fortschreitender Globali- sierung und zunehmender Migration nicht mehr nur in der Ferne, sondern vor unserer eigenen Haustür. Fremdheit weder zu ignorieren noch sie als Bedrohung wahrzunehmen ist eine Herausfor- derung. Mit Andersartigkeit positiv umgehen zu lernen, sie zu tolerieren, zu akzeptieren, Problematisches nicht zu verschweigen und sich selbst im Spiegel des Fremden zu hinterfragen, ist auch ein Anliegen von Schule. Explizit ist dies im neuen Bildungsplan in der Leitperspektive Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt formuliert. Welchen Beitrag kann hier der Religionsunterricht leisten? Trotz zunehmender Säkularisierung und Patch- work-Religiosität, abnehmender religiöser Sozialisation und Praxis im Alltag ist zu sagen, dass Schülerinnen und Schüler mehrheitlich gegenüber anderen Religionen aufgeschlossen sind. Ergebnisse des ReligionsMonitors von 2013 zeigen, dass diese häufig als Bereicherung – wenn auch mit einem gewissen Konfliktpotenzial – wahrgenommen werden. So bietet sich neben der Auseinandersetzung mit der eigenen, christlichen Religion, die vielen Schülerinnen und Schülern schon recht fremd ist, besonders die Auseinandersetzung mit anderen Religionen an. Im Kontakt mit Andersgläubigen, Zeugnissen anderer Religionen und anderen Antworten auf existentielle Fragen können einerseits kulturelle und religiöse Paradigmen erlernt werden, die Verständigungsprozesse ermöglichen und dem Entstehen von Missverständnissen vorbeugen. Andererseits wird auf der Folie des Fremden das Eigene befragt: Kann ich meine Glaubensvorstellungen im Gespräch verbalisieren und vertreten? Könnte etwas mir völlig Einleuchtendes auf andere befremdlich wirken? Nicht zuletzt kann das Eigene mit dem Fremden in einen produktiven, wechselseitigen Austausch treten. Die hinduistischen und buddhistischen Traditionen sind im Reigen der großen Weltreligionen wohl diejenigen, die uns – nicht nur lokal gesehen – am Fernsten liegen. Wenngleich manches aus diesem Raum den Weg in die westliche Gesellschaft gefunden hat – beispielsweise Reinkarnationsvorstellungen, Yoga oder Zen-Meditation – sind viele dennoch weit von einem tieferen Verständnis entfernt. Deshalb können Schülerinnen und Schüler gerade in der Auseinandersetzung mit diesen Religionen auch im Unterricht exemplarische Fremdheitserfahrungen machen. Die vorliegende Publikation, die sich am neuen Bildungsplan 2016 orientiert, widmet sich eben- diesem Thema. In der theoretischen Grundle- gung nähert sich Mirjam Schambeck dem Begriff der interreligiösen Kompetenz und der Frage, wie diese im Religionsunterricht gefördert werden kann. Im Anschluss daran beleuchtet Francis X. D’Sa das hinduistische Wiedergeburtsverständnis. Abschließend nimmt Werner Höbsch die buddhistische Vorstellung vom Leiden in den Blick. Wenngleich der Schwerpunkt des Praxisteils auf dem Hinduismus liegt, werden auch zentrale Aspekte des Buddhismus behandelt. Darüber hinaus finden sich im Heft weiterführende Tipps und Ideen, die entgegen der üblichen Praxis zwischen die Unterrichtsentwürfe gestellt sind. Dieser Kompromiss ist dem großen Umfang der Veröffentlichung geschuldet. Wir wünschen Ihnen und Ihren Schülerinnen und Schülern viel Freude und Erfolg bei der Begegnung mit dem Fremden!