Zum Buch:
Klaus Lang, der langjährige Funktionär der IG Metall und Arbeitsdirektor in der Holding Georgsmarienhütte GmbH, analysiert anhand der CDU-Programme deren intellektuelle und politische Untiefen. Die Verbeugung von Merz vor der AfD im Januar 2025 wird als zwangsläufige Entwicklung aus dem pauschalen Bezug auf das christliche Weltbild und dem fortgesetzten „kollektiven Beschweigen“ (Hermann Lübbe) in der Partei beschrieben. Lang sieht in dieser Entwicklung allerdings weder eine Tendenz der CDU zum Rechtsradikalismus noch gar zum Faschismus, wie einige Aufgeregte vermuten. Sehr wohl handelt es sich aber um eine konservative Radikalisierung zum „technokratischen Konservatismus“ (Lang), der sich programmatisch in ungebrochenem Wachstumswahn und Technikoptimismus kostümiert, was sich schon in der Großen Koalition unter Merkel schleichend anbahnte, als die Neoliberalen in der CDU mit Merz an der Spitze auf viele marktwirtschaftliche Dogmen und Schwüre verzichten mussten. Das erinnert an das Diktum des ebenso verschlagenen wie beschlagenen Bischofs, Diplomaten und Ministers Maurice de Talleyrand (1754-1838), der 1814 in einem Brief an Napoleon freimütig bekannte, seiner Meinung nach sei „Verrat eine Frage des Datums“.
In der Großen Koalition stimmten die Neoliberalen in der CDU vielem zu, was einem Verrat am eigenen Programm gleichkam: Sie votierten für die Duldung von milliardenschweren Staatshilfen in der Finanzkrise, bei der Euro-Rettung und bei der Intervention in Griechenland, bei der Einführung des Mindestlohns, für den Ausstieg aus der Energieerzeugung durch Atomkraftwerke, für die Anerkennung der Gleichberechtigung von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft, für die Anerkennung von Lebenspartnerschaften als gleichwertig jenseits der christlichen Lehre. Einzig die „soziale Marktwirtschaft“ blieb der dauerhafteste Bestandteil der CDU-Programmatik, wohl weil er sich schon im ersten Bundestagswahlkampf 1949 als wirksamer Slogan bewährt hatte und sich auch im Klima von Kaltem Krieg und Antikommunismus als nützlich und erfolgreich erwies. Einer seiner Erfinder, Alfred Müller-Armack, bezeichnete ihn später als eher zufällig gefundene Parole, die zunächst nur als provisorische Übergangs- und Verlegenheitskonstruktion zum eigentlichen Ziel gemeint war – nämlich einer freien Marktwirtschaft ohne staatliche oder soziale Fesseln. Nicht nur in Filmen überleben Halbtote und Ganztote manchmal etwas länger.
Merz‘ Wortbruch vom Januar war erwartbar, denn in den Fragen von Asyl und Migration näherte sich die CDU/CSU schon lange fast bis zur Ununterscheidbarkeit den Positionen der Rechten und der AfD an. Der Autor sieht darin zu Recht eine Form „geistiger Brandstiftung“ und schleichender Anpassung an den Rechtstrend in fast allen Ländern der EU durch den Erfinder der Parole von der „deutschen Leitkultur“ als Maßstab für die Integration von Fremden.
Die Suche nach einer „modernen“ Volkspartei, die in der CDU unter Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf zaghaft begann, endete abrupt mit deren Abhalfterung. Kohls Projekt einer „geistig-moralischen Wende“ war von Anfang an eine „Luftnummer“ bzw. eine „Marginalie“, wie selbst prominente konservative Vordenker wie Caspar von Schrenck-Notzing und Günter Rohrmoser einräumten. Die in der CDU nach 1989 forcierte Rückbesinnung auf die Nation besorgten rechte Intellektuelle wie Götz Kubitschek, Karlheinz Weissmann, Rainer Zittelmann, Panajotis Kondylis, Eckhard Jesse, Botho Strauß, Ernst Nolte, Michael Stürmer u.a. gründlicher und wirksamer als Alfred Dregger und seine Stahlhelm-Leute in der rechten CDU.
Wenn man etwas vermisst in Langs solider Programmanalyse, so ist es einen Abschnitt zum Beitrag der konservativen Printmedien von BILD bis FAZ und Welt sowie der privaten Fernsehsender. Sie haben bei der Radikalisierung der CDU und dem Aufstieg der Migrationsfrage zum vermeintlichen Schlüsselproblem für Staat und Gesellschaft entscheidend mitgewirkt.
Rudolf Walther, Frankfurt