Zum Buch:
Die Südukraine Ende der 1920er Jahre. Nahe der Stadt Zaporje will Stalin am Djnepr einen Staudamm und ein Wasserkraftwerk errichten. Ein gigantisches Unternehmen, um der Welt den Fortschritt in der sowjetischen Industrialisierung zu beweisen.
Chaim Katz, Stalins bester Bauingenieur, soll nach Stalins Willen Bauleiter werden, seine Frau Darja als Propaganda- und Personalchefin für die Moral und das Wohlergehen der zigtausend (Zwangs-) Arbeiter sorgen. Ein gewagter Plan, denn Chaim versteht nichts vom Staudammbau und Darja kennt nur ihre eigenen Interessen. Die nötige Expertise für die Verwirklichung eines solch kühnen Projekts muss sich Stalin dann ausgerechnet beim Klassenfeind aus Amerika holen: in Person von Hugh Winters, dem legendären Staudammbauer, der die größten Staudämme Amerikas gebaut hat. Aber Winters versteht sich nicht nur auf den Staudammbau. Er ist ein unverbesserlicher Schürzenjäger und verfällt sofort Darjas Reizen. Darja, von adliger Herkunft, durch Stalins Säuberungen jetzt leider ohne Familie und Besitz, wurde einst von Chaim vor dem Hungertod gerettet; sie hat ihn aus Dankbarkeit geheiratet, nicht aus Liebe, so dass auch ihr die Begegnung und die Affaire mit dem modernen Amerikaner sehr gelegen kommt. Und während Stalins Staudamm unter grausamen Bedingungen und auf Kosten des Lebens unzähliger Menschen errichtet wird, sinnt Darja, die rote Herzogin, auf ein wenig Vergnügen inmitten dieser rohen Welt. Sie plant einen Weihnachtsball mit allem Pomp und Glanz, wie zur Zeit ihrer Jugend.
Und das, obwohl Arbeiter Hunger leiden, überall nur Mangel herrscht und der Plan auch nicht so recht der kommunistischen Idee entspricht. Aber wer sollte Darja daran hindern, die doch alle Mitwisser durch eigens angefertigte Akten in der Hand hat? Oder geht sie mit diesem Vorhaben vielleicht doch ein wenig zu weit?
„Autoren sind Sappeure, die nach vergrabenen Bomben in Gedächtniserde suchen. Ihr Ziel ist es nicht, die gefundenen Bomben zu entschärfen, sondern sie in den Köpfen der Leser explodieren zu lassen.“ Mit diesem Satz beginnt Lavochkinas Vorwort zu der Roten Herzogin. Und genau das geschieht beim Lesen dieses schmalen Romans über den Bau eines Staudamms, Sinnbild der stalinistischen Megalomanie. Die rote Herzogin ist ein sprachgewaltiger Roman über die Ukraine zur Zeit des roten Terrors, kurz vor dem Holodomor, dem gezielten Aushungern der Bevölkerung, bei dem nach Schätzungen zwischen 3 und 7 Millionen Menschen ums Leben kamen. Auf knapp 130 Seiten nimmt Lavochkina den Leser mit auf einen rasanten Höllentrip, wie ein Film von Tarantino oder Kusturica. Eine Mischung aus Fakt und Fiktion: opulent, grausam und mit bitterbösem Humor erzählt.
„Kein Buch für Zartbesaitete“, heißt es im Klappentext. Richtig! Doch selten hat mich ein Buch auf so wenigen Seiten so erschüttert und gleichzeitig unterhalten wie dieses.
Andrea Schulz, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt