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Leben

Autor
Senzow, Oleg

Leben

Untertitel
Geschichten. Übersetzt von Irina Bondas, Kati Brunner, Claudia Dathe, Christiane Körner, Alexander Kratochvil, Lydia Nagel, Olga Radetzkaja, Jennie Seitz, Andreas Tretner und Thomas Weiler
Beschreibung

Der Autor und Filmemacher Oleg Senzow war von 2014 bis 2019 in russischer Gefangenschaft; vorgeworfen wurde ihm die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Gruppe. Spätestens, als er 2018 kurz vor der Fußballweltmeisterschaft 145 Tage im Hungerstreik war, wurde er auch hierzulande wahrgenommen. Seine Filme und seine Bücher aber kennt kaum jemand.

Im Jahr 1976 wurde Oleg Senzow auf der Krim geboren, seine 2019 ins Deutsche übertragenen autobiographischen Geschichten tragen den Titel Leben und erzählen genau davon: vom Leben auf der Krim, genauer von seiner Kindheit auf dieser seit 2014 von den Russen annektierten Halbinsel. Vordergründig politisch sind diese Geschichten nicht, sie gehören auch nicht zur engagierten Literatur, sie erzählen vielmehr sehr geschmeidig, mitunter märchenhaft vom Aufwachsen auf dem Lande.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Verlag Voland & Quist, 2019
Seiten
112
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-86391-234-5
Preis
16,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Oleg Senzow, geb. 1976 in Simferopol auf der Halbinsel Krim, ist ukrainischer Autor und Filmemacher. Am 11. Mai 2014 wurde er mit drei weiteren Aktivisten wegen angeblicher terroristischer Handlungen vom russländischen Inlandsgeheimdienst FSB festgenommen. Er wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt. Menschenrechtsorganisationen schätzten das Verfahren und Urteil als politisch motiviert ein und stellten gravierende Verstöße gegen internationale Rechtsnormen fest. Im September 2019 wurde Senzow nach einem großen Gefangenenaustausch freigelassen und ist in die Ukraine zurückgekehrt.

Zum Buch:

Der Autor und Filmemacher Oleg Senzow war von 2014 bis 2019 in russischer Gefangenschaft; vorgeworfen wurde ihm die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Gruppe. Spätestens, als er 2018 kurz vor der Fußballweltmeisterschaft 145 Tage im Hungerstreik war, wurde er auch hierzulande wahrgenommen. Seine Filme und seine Bücher aber kennt kaum jemand.

Im Jahr 1976 wurde Oleg Senzow auf der Krim geboren, seine 2019 ins Deutsche übertragenen autobiographischen Geschichten tragen den Titel Leben und erzählen genau davon: vom Leben auf der Krim, genauer von seiner Kindheit auf dieser seit 2014 von den Russen wieder annektierten Halbinsel. Vordergründig politisch sind diese Geschichten nicht, sie gehören auch nicht zur engagierten Literatur, sie erzählen vielmehr sehr geschmeidig, mitunter märchenhaft vom Aufwachsen auf dem Lande.

Der kleine Oleg ist zwölf Jahre alt, sein größter Wunsch ist es, einen Hund zu haben. Oleg träumt von einem Schäferhund, einem deutschen Schäferhund. Bekommen wird er einen Mischling, eine Kreuzung aus deutschem und kaukasischem Schäferhund, er nennt ihn Dick. Dick wird riesig, aber mit ihm verbringt er unzählige Stunden im Wald, rennt mit ihm, spielt mit ihm Verstecken. Ein paar Jahre früher wünschte er sich noch ungarische Plastiksoldaten oder ein ferngesteuertes Auto. Zu dieser Zeit, 1985, bekommt die Familie auch ihr erstes eigenes Auto, einen alten Moskowitsch. Wenn sie damit nicht ans Meer fahren, ist Oleg im Dorf unterwegs. Es ist zehn Uhr abends. „Dämmerung, die Straße vorm Haus. Wir spielen Verstecken. Jungs und Mädchen. Es ist schon fast dunkel. Bald sieht man gar nichts mehr. Aber noch können wir spielen, ein kleines bisschen noch. Als ich an unserem Gartentor vorbeirenne, weht mir aus der Sommerküche der Geruch von Bratkartoffeln in die Nase – und aus dem Zimmer, in dem unser Fernseher steht, tönt durchs offene Fenster die Anfangsmelodie der Kundschafterserie TASS ist er ermächtigt zu erklären.“ Es ist eine sowjetische Fernsehserie, die auch in der DDR ausgestrahlt wurde, im Zentrum stehen CIA und das Komitee für Staatssicherheit der UdSSR.

So nah uns diese Geschichten sind, in den kleinen Details steckt das Fremde, und Tod und Krankheit spielen von Kindesbeinen an eine entscheidende, bedrohliche Rolle. Senzows Geschichten vermitteln ein Gefühl dafür, wie wunderschön und gleichzeitig aussichtslos das Leben in der Ukraine, auf der Krim war. Es sind keine folkloristischen Geschichten, es sind keine auf den ersten Blick politischen Geschichten, und wer etwas über Oleg Senzows Haft lesen möchte, greife zu seiner gleichnamigen Publikation, in der er unter anderem die Gefangenentransporte in den – schon zu Zeiten des Gulag genutzten – Stolypin-Waggons beschreibt. Leben aber versammelt ein paar wunderbare, kleine Geschichten, sie sind ein absolut empfehlenswerter Einstieg in das Werk dieses Autors und Filmemachers.

Das „Geringste, was wir für ihn tun können“, ist, „seine Texte zu lesen“, schrieb Andrej Kurkow im Februar 2019, als Senzow noch in Haft war. Mittlerweile ist Senzow frei, 2020 lief sein Film Nomera auf der Berlinale, und 2021 wurde in Venedig Rhino gezeigt, ein Film über die 1990er Jahre in der Ukraine, über die Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als Banden und Hooligans die Straßen beherrschten. Dass er die Hauptrolle mit einem „ehemaligen“ Rechtsextremen besetzen musste, ist zu Recht umstritten.

Seit ein paar Tagen heißt es, habe sich Oleg Senzow den Ukrainischen Streitkräften angeschlossen.

Ines Lauffer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt