Zum Buch:
Friederike Andermann, kurz Fred genannt, hat es trotz ihrer Herkunft aus dem Arbeitermilieu, zur Botschafterin Deutschlands in Uruguay gebracht, einem erstaunlich friedlichen Land in Südamerika. In Montevideo, umgeben von viel flachem Land, „wo Kühe auf endlosen Weiden lebten und stets die Asche von Grillkohle durch die Luft wirbelte“, kommen der ehrgeizigen Fünfzigjährigen zunehmend Zweifel, ob das alles Wirklichkeit sein kann: mit dem Caterer die Wahl der richtigen Würstchen und die Musik für die Gäste am Tag der Deutschen Einheit zu besprechen, bei Einweihungen Bänder durchzuschneiden und in einem klimatisierten Wagen mit Chauffeur von A nach B kutschiert zu werden. Eine Entscheidung darüber wird ihr abgenommen, als eines Tages die verwöhnte Tochter der Besitzerin eines deutschen Boulevardblattes im Land verschwindet – was ihrer weiteren Karriere einen kräftigen Dämpfer verpasst.
Zwei Jahre später ist sie als Konsulin in Istanbul, auf der Erfolgsleiter eine Stufe nach unten gerutscht, dafür in einer Stadt, die sie begeistert, überwältigt und herausfordert. Ein entschieden komplizierteres Pflaster als Montevideo, ein Ort, an dem die diplomatische Kunst, zu reden und nichts zu sagen, lebenswichtig sein kann – zumindest für andere. So auch, als der in Berlin lebende, kurdischstämmige Barış, der seine im Istanbuler Frauengefängnis inhaftierte Mutter besuchen wollte, am Flughafen festgenommen und mit einem Ausreiseverbot belegt wird. Was wie ein unschöner, aber nicht unüblicher diplomatischer Vorfall beginnt, entwickelt sich in rasantem Tempo zu einer brisanten Affäre, in der Fred an die Grenzen des diplomatisch Erlaubten stößt und vor der Entscheidung steht, welches Scheitern sie sich zumuten will: Handelt sie, kann es das Ende ihrer Tätigkeit in Istanbul bedeuten. Handelt sie nicht, wird sie sich nicht mehr im Spiegel anschauen können.
Fred Andermann ist eine typische Lucy-Fricke-Heldin: illusionslos, aber nicht zynisch, mit bissigem Humor und wachem Blick. Eine starke Frau, die überall, aber letztlich nirgendwo zu Hause ist, die sich zwischen unverbindlichen Affären und Alleinsein eingerichtet hat, deren moralischer Kompass ihr aber immer noch zuverlässig die Richtung vorgibt.
Die Diplomatin ist ein temporeicher, spannungsgeladener Roman, der in knappen Szenen die komplizierten Verflechtungen zwischen offizieller und inoffizieller deutsch-türkischer Zusammenarbeit, zwischen Regierungsmitarbeitern, Menschenrechtsaktivisten und Geheimdiensten und zwischen dienstlichen und persönlichen Loyalitäten beschreibt – in einem Land, in dem ein verlässliches Rechtsystem längst von staatlicher Willkür abgelöst worden ist.
Ruth Roebke, Frankfurt a. M.