Zum Buch:
Stricken! Da entstehen Bilder im Kopf von verfilzten Topflappen aus dem Handarbeitsunterricht, zu kurzen, aber dafür auch zu weiten Pullovern mit ungleich langen Ärmeln, dem einen oder anderen gelungenen Schal, vom aggressiven Stricken in den Hörsälen der siebziger und den fleißig mit den Nadeln klappernden Omas der fünfziger Jahre.
Katerina Schinás Die Nadeln des Aufstands aber stellen all diese Bilder eines scheinbar verstaubten Hobbys gründlich auf den Kopf. Stricken ist Frauensache? Keineswegs – im Mittelalter gab es Strickzünfte, in denen selbstverständlich nur Männer zugelassen waren. Das änderte sich erst, als die Strickmaschine erfunden (und natürlich von Männern betrieben) wurde; die Nadeln blieben ab dann großzügig den Frauen überlassen. Dennoch strickten auch Männer weiter; von Fischern und Seeleuten ist das bekannt, aber es betrifft auch Schauspieler wie Gary Grant, Präsidenten wie Roosevelt, Cowboys auf dem Pferd und natürlich Künstler und Künstlerinnen aller Art. Mit anderen Worten: Stricken ist eine geschlechtsübergreifende Tätigkeit. Aber wie wir am Ende des Buches wissen, steckt auf der weiblichen Seite, wie schon der Titel besagt, auch ein großes subversives oder gar revolutionäres Potential im Nadelspiel. Und wir lernen den Zusammenhang von Kunst, Musik, Dichtung, Mathematik mit dem Stricken bzw. Häkeln verstehen: vom gestrickten rosa Überzug über einen Panzer als künstlerischen Protest gegen den Irakkrieg über das in allen Einzelheiten nachgehäkelte Great Barrier Reef von Margret und Christine Wertheim (das erfreulicherweise bis zum 26. Juni in Baden-Baden im Museum Frieder Burda zu sehen ist) bis zu den ebenfalls gehäkelten mathematischen Modellen von Hinke Osinga und Lorenz Manifold gibt es anscheinend nichts, was sich mit Nadel und Faden nicht ausdrücken ließe.
Die Nadeln des Aufstands mag zwar keine Kulturgeschichte des Strickens im umfassenden Sinne sein, ist aber ein hinreißender Essay über ein oft belächeltes (Kunst-) Handwerk, immer wieder angereichert mit den persönlichen, sehr lebendig erzählten Strickerfahrungen der Autorin und zudem ein wunderschön gestaltetes, mit vielen Abbildungen versehenes Buch, das man gerne in der Hand hält und dem ich sehr, sehr viele Leserinnen und Leser wünsche.
Irmgard Hölscher, Frankfurt a.M.