Zum Buch:
Ein Sachcomic von Ulli Lust? Über die Steinzeit? Das mag auf den ersten Blick überraschend sein, denn Ulli Lust wurde vor allem durch ihre autobiographischen Comics bekannt, in denen sie schonungslos über eigene Erfahrungen berichtet (Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens).
Der vorliegende Comic ist durchaus verbunden mit biografischen Erfahrungen der österreichischen Zeichnerin. Das wird schon auf den ersten Seiten unmissverständlich klar, auf denen sie sich pointiert an die verklemmte Atmosphäre ihrer Kindheit erinnert. Zudem verbindet eine dezidiert feministische Perspektive ihre Comics. Schon der ironische Titel lässt hier keinen Zweifel aufkommen.
Ulli Lust interessiert sich schon sehr lange für Urgeschichte. Jetzt hat sie sich die Zeit genommen, diesem Interesse ausführlich und gründlich nachzugehen. Der vorliegende Band, ist einer von dreien. Aber keine Sorge, der Einstieg lohnt sich, jetzt und unbedingt.
Ganz besonders haben es ihr die urzeitlichen Figurinen angetan. Es gibt eine Reihe von faszinierenden Funden, deren Alter zwischen 10.000 und 35.0000 Jahren datiert wird und die fast ausschließlich weibliche Figuren darstellen. Am bekanntesten ist vielleicht die aus Mammut-Elfenbein gemachte „Venus vom Hohlefels“, gefunden auf der Schwäbischen Alb. Was diese Skulpturen (und weitere Funde und Zeichnungen) für Rückschlüsse auf Kultur und Sozialleben der damaligen Gesellschaften erlauben, das interessiert Ulli Lust besonders. Wären diese Gemeinschaften nicht weiblich dominiert, so ihre Mutmaßung, hätten Empathie und Gruppenzusammenhalt nicht eine so wesentliche Rolle gespielt. Genau diese Eigenschaften aber waren entscheidend für das Überleben der Spezies.
Mit großer Neugier und sichtbarer Faszination am Thema lädt uns Lust in diesem Essay ein, an diesen Fragen und Hypothesen teilzuhaben. Schon allein zeichnerisch ist das ein Vergnügen. „Aktuelles Wissen aus der Archäologie, gepaart mit Ideen aus ethnologischen Beispielen und in Reflexion mit der Gegenwart erzeugen einen brisant en Mix zum Nachdenken über unser Verständnis von ‚Frausein‘“. (Dr. Christine Neugebauer-Maresch; Archäologin, Uni Wien). Ein solches Lob aus der Wissenschaft bestätigt die Ambition der Künstlerin. Vor allem aber gelingt es ihr, mit den Mitteln des Comics ein spannendes Geflecht von Bezügen sichtbar zu machen. Das darf ohne Scham als unterhaltsam bezeichnet werden.
Jakob Hoffmann, Frankfurt