Zum Buch:
Hans Ertl, 1908 am Chiemsee geboren, war Bergsteiger, Autor, Fotoreporter beim Boulevardblatt Quick, Rinderzüchter und Dokumentarfilmer. Während der Zeit des Nationalsozialismus galt er als bevorzugter Kameramann – und Liebhaber – Leni Riefenstahls, bevor Erwin Rommel den jungen Oberleutnant als Chefkameramann in das NS-Propagandaministerium berief. 1948 nach Bolivien ausgewandert, versuchte Ertl sich als Dokumentarfilmer einen Namen zu machen, doch fanden seine leicht verkitschten Darstellungen der indigenen Hochlandbevölkerung nur wenig Beachtung. Als dann auch noch das Material zu seinem letzten Film „Surazo“ bei einem Autounfall zerstört wurde, zog er sich auf seine Hazienda La Dolorida zurück, wo er sich, vom Gebaren der jungen Bundesrepublik enttäuscht, bis zu seinem Tod im Jahr 2000 der Rinderzucht widmete. Gern gesehener Gast auf La Dolorida war die auf der sogenannten „Rattenlinie“ nach Lateinamerika geflüchtete Nazigröße Klaus Barbie, der sich nun Klaus Altmann nannte und unter anderem als technischer Berater des Diktators Hugo Banzer tätig war. Ertl mochte Barbie und hielt seine drei Töchter sogar dazu an, den Schlächter von Lyon „Onkel Klaus“ zu nennen.
Hans Ertls Tochter Monika war eine aufgeweckte junge Frau, die zunächst ihrem Vater als Assistentin zuarbeitete und oft genug auch in dessen Filmen auftrat – bevor sie sich der von Ernesto „Che“ Guevara angeführten bolivianischen Nationalen Befreiungsarmee ELN anschloss. Monika Ertl wird verdächtigt, 1971 den damaligen Konsul Roberto Quintanilla Pereira in Hamburg ermordet zu haben, der maßgeblich für die Hinrichtung Guevaras verantwortlich war und dafür sorgte, dass man seine Hände zwecks erkennungsdienstlicher Maßnahmen abtrennte. Ebenso wahrscheinlich, aber bis heute unbewiesen, ist die Vermutung, dass sich Monika neben dem Philosophen Régis Debray und dem Nazijäger-Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld an der (missglückten) Entführung Klaus Barbies beteiligt hat. Zwei Jahre später wird sie am helllichten Tag in der bolivianischen Hauptstadt La Paz von der Geheimpolizei erschossen. Auftraggeber für die Aktion: „Onkel“ Klaus Barbie.
Es ist der Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser hoch anzurechnen, dass sie sich bewusst nicht dazu hat hinreißen lassen, ihre Doppelbiografie in rein chronologischer Form aufzubauen. Denn neben der ohnehin ungemein interessanten und weitgehend unbekannten Geschichte der Familie Ertl, die auch eine deutsche Geschichte ist, überzeugt gerade dieses Gebinde aus Zeitsprüngen, Gesprächen, Selbstreflexionen und gekonnt eingesetzten Perspektivwechseln.
Axel Vits, Köln