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Surazo

Autor
Harrasser, Karin

Surazo

Untertitel
Monika und Hans Ertl: Eine deutsche Geschichte in Bolivien
Beschreibung

Eine der interessantesten, dennoch weitgehend unbeachteten Episoden deutscher Nachkriegsgeschichte spielt sich weit entfernt im Hochland Boliviens ab. Namen wie Ernesto „Che“ Guevara, Beate und Serge Klarsfeld oder Klaus Barbie, die in dieser unglaublichen Geschichte vorkommen, sind heute nahezu jedem bekannt. Doch in welchem Zusammenhang mit diesen Personen stehen Hans Ertl und dessen Tochter Monika?
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Matthes & Seitz Berlin, 2022
Seiten
270
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-7518-0353-3
Preis
26,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Karin Harrasser ist Kulturwissenschaftlerin und forscht zu Körper, Technik und Science-Fiction. Sie hat Donna Haraway ins Deutsche übersetzt und war an verschiedenen künstlerischen und kuratorischen Projekten beteiligt. In den letzten Jahren hat sich ihre Forschung auf Fragen der (kulturellen) Gewalt als Element von transatlantischen Beziehungen verlagert, die sie in Kolumbien und Bolivien untersucht, zuletzt erschien dazu Surazo. Monika und Hans Ertl: Eine deutsche Geschichte in Bolivien. Sie lebt in Linz, wo sie eine Professur an der Kunstuniversität innehat, außerdem ist Harrasser Kodirektorin des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften (ifk) in Wien.

Zum Buch:

Hans Ertl, 1908 am Chiemsee geboren, war Bergsteiger, Autor, Fotoreporter beim Boulevardblatt Quick, Rinderzüchter und Dokumentarfilmer. Während der Zeit des Nationalsozialismus galt er als bevorzugter Kameramann – und Liebhaber – Leni Riefenstahls, bevor Erwin Rommel den jungen Oberleutnant als Chefkameramann in das NS-Propagandaministerium berief. 1948 nach Bolivien ausgewandert, versuchte Ertl sich als Dokumentarfilmer einen Namen zu machen, doch fanden seine leicht verkitschten Darstellungen der indigenen Hochlandbevölkerung nur wenig Beachtung. Als dann auch noch das Material zu seinem letzten Film „Surazo“ bei einem Autounfall zerstört wurde, zog er sich auf seine Hazienda La Dolorida zurück, wo er sich, vom Gebaren der jungen Bundesrepublik enttäuscht, bis zu seinem Tod im Jahr 2000 der Rinderzucht widmete. Gern gesehener Gast auf La Dolorida war die auf der sogenannten „Rattenlinie“ nach Lateinamerika geflüchtete Nazigröße Klaus Barbie, der sich nun Klaus Altmann nannte und unter anderem als technischer Berater des Diktators Hugo Banzer tätig war. Ertl mochte Barbie und hielt seine drei Töchter sogar dazu an, den Schlächter von Lyon „Onkel Klaus“ zu nennen.

Hans Ertls Tochter Monika war eine aufgeweckte junge Frau, die zunächst ihrem Vater als Assistentin zuarbeitete und oft genug auch in dessen Filmen auftrat – bevor sie sich der von Ernesto „Che“ Guevara angeführten bolivianischen Nationalen Befreiungsarmee ELN anschloss. Monika Ertl wird verdächtigt, 1971 den damaligen Konsul Roberto Quintanilla Pereira in Hamburg ermordet zu haben, der maßgeblich für die Hinrichtung Guevaras verantwortlich war und dafür sorgte, dass man seine Hände zwecks erkennungsdienstlicher Maßnahmen abtrennte. Ebenso wahrscheinlich, aber bis heute unbewiesen, ist die Vermutung, dass sich Monika neben dem Philosophen Régis Debray und dem Nazijäger-Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld an der (missglückten) Entführung Klaus Barbies beteiligt hat. Zwei Jahre später wird sie am helllichten Tag in der bolivianischen Hauptstadt La Paz von der Geheimpolizei erschossen. Auftraggeber für die Aktion: „Onkel“ Klaus Barbie.

Es ist der Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser hoch anzurechnen, dass sie sich bewusst nicht dazu hat hinreißen lassen, ihre Doppelbiografie in rein chronologischer Form aufzubauen. Denn neben der ohnehin ungemein interessanten und weitgehend unbekannten Geschichte der Familie Ertl, die auch eine deutsche Geschichte ist, überzeugt gerade dieses Gebinde aus Zeitsprüngen, Gesprächen, Selbstreflexionen und gekonnt eingesetzten Perspektivwechseln.

Axel Vits, Köln