Zum Buch:
Zwei Frauen sitzen auf der gleichen Bank in einer öffentlichen Anlage von Helsinki, ihre Blicke sind auf eine Familie in der Nähe eines Hundeparks gerichtet. Die eine braucht eine Weile, bis sie die andere erkennt. Doch in diesem Moment fällt ihr sorgsam errichtetes Kartenhaus, ihr teuer bezahltes neues Leben in sich zusammen.
Vor weniger als zehn Jahren haben sie für das gleiche Unternehmen gearbeitet, Olenka als Koordinatorin, Daria als Spenderin von Eizellen. Was dann geschehen ist, was beide aus Dnipropetrowsk nach Helsinki getrieben hat, lässt Oksanen die ältere von beiden in Rückblicken erzählen. Dabei erweist sich Olenka als nicht besonders schlau oder mutig. Ihre Schönheit und ihre Sehnsucht nach einem – nach westlichen Maßstäben – „normalen“ Leben, die sich dann aber in Gier nach mehr und noch mehr Geld, Ansehen und Macht verwandelt, werden ihr, werden aber auch Daria zum Verhängnis.
Die von Korruption und mafiaähnlichen Clans gesteuerten wirtschaftlichen wie politischen Verhältnisse in Russland, aber auch in der Ukraine, ermöglichen der Fruchtbarkeitsindustrie im Osten zu Beginn des 21. Jahrhundert einen rasanten Aufstieg. Junge, gerade erwachsen gewordene Frauen werden einer genauen Prüfung ihrer Herkunft, Gesundheit, ihrer Begabungen und Chromosomen unterzogen, um dann als Spenderinnen gemolken und gesundheitlich ruiniert zu werden. Die Beweggründe, sich als Spenderin zu bewerben, sind oft Armut in der Familie und Sehnsucht nach einem besseren Leben. Während die Kundinnen anfangs noch aus dem Westen kommen, schließen sich bald Frauen aus den neureichen, im Osten angesiedelten Familienclans an.
Zu diesem Zeitpunkt zieht sich die Schlinge um Daria und Olenka langsam, aber unaufhaltsam zu. Sie werden zu Opfern der Vergangenheit ihrer Väter und leiden darunter, anderen Frauen das zu ermöglichen, wovon sie selbst träumen.
Erschütternd sind die Erinnerungen Olenkas, ernüchternd der Blick in die Zukunft der jungen Frauen, die in Ostblockländern in diesem Jahrtausend leben, gar nicht so weit vom Westen entfernt.
Sofi Oksanen ist dafür bekannt, dass sie gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche Missstände sichtbar macht, mehr noch, schmerzlich spürbar macht. In diesem Thriller steigt nicht nur der Spannungsbogen der Handlung auf jeder Seite, die geschilderten Zustände setzen einen von Anfang an gewaltig unter Strom.
Susanne Rikl, München