Zum Buch:
Mitten in der Nacht taucht Marie bei ihrer Cousine Johanna in der Hütte auf dem Berg auf. Sie versteckt sich vor Peter, ihrem Mann, und auch ein bisschen vor sich selbst. Nach allem, was passiert ist, traut sie sich selbst und ihren Erinnerungen nicht mehr so ganz über den Weg. Da kommt ihr die Hütte auf dem Berg, wo Johanna mit ihren Ziegen und den Käuzen und den Mäusen allein lebt, ganz recht. Johanna hingegen ist Maries Anwesenheit gar nicht recht, schließlich verscheucht Marie mit ihrer Art die Käuze, und ihre Tiere sind Johanna schon immer wichtiger als andere Menschen gewesen. Marie ist dagegen ganz anders: Eigentlich war sie eine erfolgreiche Modedesignerin, bis ihr Mann wollte, dass sie Zu Hause bleibt und nicht wieder anfängt zu arbeiten. Und so müssen sich Marie und Johanna wieder einmal miteinander arrangieren, mit ihren Unterschieden, Familientraumata und Geheimnissen, über die sie nicht sprechen.
Umgeben von einem beeindruckenden Bergpanorama, abgeschnitten von der Außenwelt, ringen die beiden Cousinen mit der gemeinsamen Familiengeschichte, ringen um die Anerkennung der jeweils anderen. Hoch oben auf dem Berg ist das Überleben immer auch ein Kampf mit der Natur um Ressourcen und gegen das Wetter. Katharina Köller gelingt mit Wild wuchern ein sprachgewaltiger Roman, in dem die Beschreibungen der Außenwelt und des Wetters ebenso eindrücklich sind wie die der Gefühlswelten ihrer Charaktere. Johanna und Marie haben beide erfahren, dass es fast unmöglich ist, als Mädchen und Frau so zu leben, wie sie möchten, es sei denn, man entzieht sich dem Zugriff von Eltern, Ehemännern und Gesellschaft. Johanna war schon immer die Unangepasste der beiden, aber auch Maries Anpassungsversuche an die gesellschaftlichen Vorstellungen haben sie letztlich nicht vor der Gewalt bewahrt, die Frauen und Mädchen aus der Gesellschaft entgegenschlägt.
Der Rückzug auf den Berg als Rückzug aus der Gesellschaft wird bei Köller aber nicht als Rückkehr zu etwas Ursprünglichem, Natürlichem gedeutet, sondern ermöglicht erst, dass die Charaktere zu etwas Neuem zusammenwachsen. Marie wächst alleine, unabhängig von anderen, quasi aus ihrem Blumentopf auf der Fensterbank heraus zu einem wild wuchernden, ungestutzten Gewächs und findet dabei die Kraft, zusammen mit Johanna den Dämonen ihrer Vergangenheit zu begegnen.
Melissa Dutz, Frankfurt