Zum Buch:
Ein 15-Jähriger verliebt sich in eine um viele Jahre ältere Frau. Željko – in Deutschland nennt er sich Jimmy – ist Sohn kroatischer Gastarbeiter aus Ludwigsburg, Martha lehrt als Professorin an der Universität Heidelberg. Auch wenn die beiden immer wieder lange Zeit keinen Kontakt haben, reißt die Verbindung zwischen diesen Menschen, die so unterschiedliche Leben leben, nie wirklich ab. Eine Liebesgeschichte? Das auch, aber vor allem die Geschichte eines heranwachsenden jungen Mannes mit geteilten Wurzeln.
Es ist die unbändige Sehnsucht nach mehr, nach Anderem, nach Verstehen und Verändern, die den 15-Jährigen antreibt. Željko sucht sich Lesestoff im Altpapier, arbeitet in den Sommerferien für Martha Gruber als Hausmeister und Tierpfleger. Für ihn ist es keine Frage, dass sie sich küssen werden. Nur wann? Bevor es zum Kuss kommt, schlüpft Željko – alias Jimmy – in einen Anzug und lernt von Martha, wie man in Heidelberg mit dem Rad ins Theater fährt, wie man Oper erlebt.
Jahre später sehen sie sich auf Juist wieder, verbringen drei Tage in einem Hotelzimmer, ohne der puren Lust nach Vereinigung nachzugeben. Im gleichen Sommer findet ihr Segeltörn auf der Nordsee durch einen Todesfall in Željkos Familie sein abruptes Ende: Der Großvater, Oberhaupt der Kovačevićs, wird am nächsten Tag in der Herzegowina beerdigt werden. Martha und Željko treten die knapp zweitausend Kilometer lange Reise gemeinsam an.
Aus der ungleichen Beziehung der letzten Jahre scheint sich jetzt die Begegnung zweier erwachsener Menschen zu entwickeln. Doch Željko hat in München, wo er Literatur studiert, längst einen weiteren, männlichen, Mentor gefunden. Sein Hang zur Unterordnung findet erst ein Ende, als er zu arbeiten beginnt.
Mehr als zehn Jahre deutsche Geschichte liegen wie ein zweites Pergament hinter Željkos Reifezeit, schieben sich nur ab und an in den Vordergrund. Meist schimmern sie ganz unaufdringlich durch die darübergelegte Figurenebene. Deutlich präsenter sind dagegen der Krieg in Bosnien-Herzegowina und seine Folgen im zweiten Teil des Buches. Kordićs Kunst, in übereinandergelegten Schichten zu erzählen und seine scheinbar schlichte, dabei aber so perfekte Prosa machen diesen Roman zu einem exquisiten Lesevergnügen.
Susanne Rikl, München