Zum Buch:
Da es sich bei dem Opfer um ein ehemaliges RAF-Mitglied handelt, das sich in die DDR abgesetzt und nach der Wende mit den westdeutschen Behörden zusammengearbeitet hatte, stellt das BKA dem zuständigen Kommissar Glauberg, einem erfahrenen Praktiker, die junge, ehrgeizige Berliner Kollegin Paula Reinhardt zur Seite, die auf Aktenrecherche spezialisiert ist. Der norddeutsche Glauberg, der das Wohngemeinschaftsmilieu der siebziger Jahre noch aus eigener Erfahrung kennt, und die aus Ostberlin stammende Paula arbeiten mit ganz verschiedenen Methoden, aber ein Erfolg ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Der zunächst relativ unproblematisch wirkende Fall wird für die Protagonisten zum biographischen Minenfeld. Beide betrachten ihn aus ihrer lebensgeschichtlichen Perspektive: Für Paula ist der RAF-Terrorismus auch deshalb so verwerflich, weil er sich aus einer Ideologie speiste, von der sie sich unterdrückt fühlte, während Glauberg darin durchaus noch die in unzulässige Gewalt ausgeuferten Träume seiner Jugend erkennen kann. Für Paula ist der Westen das Gegenbild zu der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen ist, ein langersehntes Paradies der Freiheit und Gerechtigkeit, das es – wenn nötig, auch mit fragwürdigen Mitteln – zu schützen gilt. Eben diese Mittel aber lehnt Glauberg – aus bitterer Erfahrung – zutiefst ab; für ihn ist ein BKA-Spitzel genauso verwerflich wie ein Stasi-IM. Die Auseinandersetzung der beiden Ermittler gerät zum Diskurs über das deutsch-deutsche Verhältnis, das noch in den scheinbar privatesten Bereichen seine Spuren hinterlassen hat. So wird aus dem Kriminalfall unversehens ein präzises und einleuchtendes Lehrstück über den unauflösbaren Zusammenhang von “historischer” und “privater” Geschichte, und erst dieser Zusammenhang lässt die Motive der Tat endlich kenntlich werden.
Irmgard Hölscher, Frankfurt