Zum Buch:
„Wieso überhaupt alleinstehend? Wieso nicht alleingehend oder alleinlaufend? Als stünde man die ganz Zeit herum, so alleine. Zu einem Paar würde ja auch keiner sagen ‘Ach, Sie sind wohl zusammenstehend’.(…) Eine alleinstehende Person ist eine statische Angelegenheit, ein Verharren, als würde sie darauf warten, dass etwas beginnt.“
Die Icherzählerin, eine Fotografin Mitte vierzig, die sich so gar nicht statisch fühlt, hat von ihrer Redaktion den Auftrag bekommen, beeindruckende Bilder aus dem ewigen Eis mitzubringen. Es ist, als begebe sie sich mit Beginn dieser Reise in eine Transitzone, aus der heraus sie auf ihr Leben und das der anderen blickt. Kinderlosigkeit und ein Leben ohne Liebesbeziehung streift sie ohne echtes Bedauern, frühe Verluste werden eher angedeutet als ausgesprochen, während sie gleichzeitig versucht, der Mitteilsamkeit ihrer meist älteren und offenbar outdoor-erprobten Mitreisenden aus dem Weg zu gehen. Nicht ganz einfach auf einem Schiff.
Der erste gesichtete Eisberg markiert den Eintritt in eine von Kälte und Kargheit gekennzeichnete Welt. Einer Welt, die zu durchqueren noch immer ein Wagnis und unberechenbarer ist, als es den meisten Reisenden lieb ist. Die ursprünglich geplante Route ist dann nämlich doch nicht schiffbar, und die schwimmwestenbewehrte Reisegruppe muss sich enttäuscht und nörgelnd mit anderen Landgängen zufrieden gegeben. Auch in dem fast verlassenen Ort Hopedale gehen sie an Land, dessen verbliebene Bewohner ihre wenigen Einkünfte durch seltene Besuche von Touristen aufbessern müssen. Die Erzählerin trifft auf Armut und Hoffnungslosigkeit, auf missbrauchte Kinder und Alkoholismus. Sie schämt sich ihrer Neugier, die dann doch nicht groß genug ist, um sich auf eine echte Begegnung mit einer der Bewohnerinnen einzulassen. Sie schämt sich für ihre Mitreisenden, von denen nicht einer der frierenden Reiseführerin seine Jacke angeboten hat, obwohl der Anstand das geboten hätte, wenn man denn die Einheimischen nicht als Objekte touristischer Neugier, sondern als ebenbürtige Menschen behandelt hätte. Beinahe Alaska erzählt vom Reisen, vom Nicht-Ankommen und von kurzen Annäherungen zwischen sehr ungleichen Leben und sehr unterschiedlichen Menschen.
Die Autorin findet auch in ihrem aktuellen Roman eine wunderbar direkte und schnörkellose Sprache, die besonders in den ersten Tagen der Schiffsreise vor Bildern nur so strotzt. Als sähe man die fast unwirklich in Pastellfarben aufleuchtenden Eisflächen vor sich und als könne man die Eiskristalle in der Atemluft spüren. Bei aller beklemmenden Enge auf dem Schiff zwischen Menschen, die unter ihren dicken Jacken ihre eigenen Geschichten und ihr eigenes Unglück herumtragen, verliert Arezu Weitholz nie den Kontakt zu dem ihrem Schreiben eigenen, feinen Humor. Wer ihre Fischgedichte noch nicht kennt, dem seien auch diese wärmstens ans Herz gelegt (Der Fisch ist ein Gedicht, erschienen 2017 im Kunstmann Verlag). Und wenn man nach Beinahe Alaska neugierig auf diese sympathische Autorin geworden ist, ist Weitholz’ erster Roman Wenn die Nacht am stillsten ist (Kunstmann, 2012) ebenso lesenswert.
Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt