Zum Buch:
Gewöhnlich erkennt man historische Romane an ihren vielen eng gedruckten Seiten und ihren Beschreibungen. Vuillards Der Krieg der Armen über die Bauernaufstände im 16. Jahrhundert ist ein historischer Romanessay anderer Natur: Der Autor konzentriert sich auf Wendepunkte der Geschichte und konfrontiert Leserin und Leser ganz ohne epische Breite mit Stimmungen, Geräuschen, Gerüchen, Klängen, Texturen und Landschaften.
Der Krieg der Armen stellt das Handeln einflussreicher Figuren der Reformation in den Vordergrund: Thomas Müntzer und seine Vorläufer John Wyclif und Jan Hus. Anders als Martin Luther vertritt Thomas Müntzer, geboren 1489 in Stolberg im Harz, die Position, auch mit Gewalt gegen die Unterdrückung der Armen durch Kirche und Fürsten kämpfen zu müssen. Müntzers Entrüstung über die Ungerechtigkeit der Römischen Kirche beginnt im Alter von elf Jahren, als sein Vater gehängt wurde. Er wird Prediger in Zwickau, Prag, Allstedt und Mühlhausen, wo er vor den Armen leidenschaftlich – und vor allem nicht in Latein, sondern auf Deutsch – predigt und sie auf die Ungerechtigkeit ihrer Situation stößt. Er wiegelt die Bauern auf und fördert die gewaltsamen Aufstände in Hessen, Oberfranken, Thüringen und Sachsen. Nach der Niederlage der Bauern in der Schlacht bei Frankenhausen wird Müntzer enthauptet.
Der Roman erzählt die Geschichte der frühneuzeitlichen Bauernaufstände als Willensgeschichte eines entschlossenen Mannes, den seine Überzeugung das Leben kostet, der aber Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit in die Welt bringt. Sozialkitsch, möchte man meinen, wäre das Buch nicht von ungeheurer literarischer Qualität. Das Genre, das Vuillard hier bedient, ist wirklich ganz erstaunlich – man könnte es historisches Haiku nennen, wenn die Sprache des Romans nicht so saftig, direkt und radikal wäre. Die Kürze tritt an Stelle der ausführlichen Beschreibungsdichte des historischen Romans. Stattdessen scheint jedes Wort einen ganzen Roman zu entfalten. Beim Lesen scheint es, als könnte keine noch so ausführliche Beschreibung an die Lebendigkeit heranreichen, die Vuillards Lakonie erreicht. Dabei ist hier nichts objektiv: Die Erzählinstanz wird selbst zur handelnden Figur, die wütet, rast, euphorisch jubelt, schimpft und spottet. Es ist genau dieser Erzähler, der die im historischen Präsens erzählte Geschichte lebendig macht, ohne dass die erzählten Figuren tatsächlich plastisch werden. Es gibt dabei auch nicht die geringste Ambivalenz, nicht den Hauch eines Zweifels an der Parteinahme der Erzählstimme für die Aufständischen und gegen die Fürsten. Es istein merkwürdiger Kontrast zwischen Lebendigkeit und Holzschnitt, der den Reiz des Buchs ausmacht.
In dieser ungeheuren, komprimierten Dichte bleibt es nicht aus, dass das Wort auf sich selbst verweist und somit das Poetische ins Zentrum rückt. Nicht für die Geschichte also, sondern für die Literatur lässt sich wünschen, dass Vuillard weiter so radikal in die Geschichte blickt; und vielleicht wäre das der Beginn einer neuen, zeitgemäßen Interpretation von „engagierter Literatur“.
Alena Heinritz, Münster