Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Schneider, Peter

Vivaldi und seine Töchter

Untertitel
Roman
Beschreibung

Die Idee zu diesem Buch stammt von Michael Ballhaus, und eigentlich sollte daraus – so lange der von Erblindung bedrohte Kameramann noch arbeiten konnte – ein Film werden. Der mit ihm befreundete Schriftsteller Peter Schneider begann zu recherchieren, aber Ballhaus’ Krankheit war schneller, und das Projekt lag auf Eis. Nun hat Schneider ein Buch daraus gemacht und erzählt das Leben Antonio Vivaldis, dessen „Vier Jahreszeiten“ das wohl weltweit meistgespielte Musikstück ist. Der geweihter Priester hast fast sein ganzes Musikerleben an dem katholischen Waisenhaus „Ospedale della Pietà“ in Venedig junge Frauen zu Instrumentalistinnen und Sängerinnen ausgebildet. „Vivaldis Töchter“ waren berühmt für ihre musikalischen Darbietungen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Kiepenheuer & Witsch, 2019
Format
Gebunden
Seiten
288 Seiten
ISBN/EAN
978-3-462-05229-9
Preis
20,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Peter Schneider, geboren 1940 in Lübeck, wuchs in Freiburg auf, wo er sein Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie aufnahm. Er schrieb Erzählungen, Romane, Drehbücher und Reportagen sowie Essays und Reden. Zu seinen wichtigsten Werken zählen »Lenz« (1973), »Der Mauerspringer« (1982), »Rebellion und Wahn« (2008), »Die Lieben meiner Mutter« (2013) und »Club der Unentwegten« (2017). Zuletzt erschien sein Roman »Vivaldi und seine Töchter« (2019). Seit 1985 unterrichtet Peter Schneider als Gastdozent an amerikanischen Universitäten, unter anderem in Stanford, Princeton, Harvard und an der Georgetown University in Washington D.C.

Zum Buch:

Die Idee zu diesem Buch stammt von Michael Ballhaus, und eigentlich sollte daraus – so lange der von Erblindung bedrohte Kameramann noch arbeiten konnte – ein Film werden. Der mit ihm befreundete Schriftsteller Peter Schneider begann zu recherchieren, aber Ballhaus’ Krankheit war schneller, und das Projekt lag auf Eis. Nun hat Schneider ein Buch daraus gemacht und erzählt das Leben des Komponisten Antonio Vivaldi, der in seiner Zeit in Europa hochberühmt war und am Lebensende verarmt in Wien starb.

Vivaldi wurde 1678 in Venedig geboren, in einer Stadt, die für ihre Schönheit und ihr reiches Musik- und Theaterleben genauso berühmt war wie für ihre Freizügigkeit, Lasterhaftigkeit und Korruption. Der katholische Klerus stand mit seinem protzigen und ausschweifenden Lebenswandel dem Adel in nichts nach, sorgte aber zugleich mit seinen allgegenwärtigen Spionen, den Sbirren, mit strengem Blick für „Sitte und Anstand“.

Schon vor seiner Geburt wurden die Grenzen von Vivaldis Leben festgelegt. Seine Mutter hatte bei einem Erdbeben kurz vor seiner Geburt das Gelübde ablegte, dass dieses Kind, wenn es denn überlebte, ein Priester werden solle. Der Knabe zeigte schon in jungen Jahren eine große musikalische Begabung und übertraf den Vater, einen Violinisten, schnell an Können. Als junger Mann, nach der Priesterweihe, trat er eine Stelle als „maestro di concerti“ im „Ospedale della Pietà“ an, einem der vier großen katholischen Waisenhäuser in Venedig. Die dort lebenden Mädchen bildete er, wenn sie Talent zeigten, zu Instrumentalistinnen und Sängerinnen aus. Die meisten seiner Orchesterwerke hat er für die Musikerinnen der „Pietà“ geschrieben. Die Konzerte von Vivaldis „Töchtern“ waren wegen ihrer hohen musikalischen Qualität berühmt. In der „Pietá“ lernte er auch die sechzehnjährige Anna Girò kennen, eine begabte junge Sängerin, die zu seiner Muse, Primadonna und Vertrauten, seiner „amicizia“, wurde – misstrauisch beobachtet von der Inquisition.

Vivaldi blieb, von einigen Unterbrechungen abgesehen, ein Leben lang an der „Pietà“, aber das bedeutete nicht, dass er nur geistliche Musik geschrieben hätte. Über 50 Opern, hunderte von Konzerten für Soloinstrumente und Orchester sind von ihm bekannt. Er machte Konzertreisen an Fürstenhöfe und spielte vor dem Papst. Zeitweise war er freier Opernimpressario – ein Musiker, der auf eigenes finanzielles Risiko seine Opern aufführte. Seine virtuosen Spieltechniken und stilistischen Innovationen machten ihn in ganz Europa berühmt, riefen aber auch Neider und Intriganten auf den Plan. Um 1730 verblasste – zumindest in Italien – sein Ruhm. Der Musikgeschmack änderte sich, und Vivaldi galt zunehmend als unmodern. Finanzielle Verpflichtungen, die er eingegangen war, trieben ihn in den Ruin, und zuletzt floh er vor seinen Gläubigern nach Wien. Dort starb er 1741 verarmt und glücklos. Der Komponist und sein Werk wurden vergessen und erst 1926 auf abenteuerliche Weise wieder entdeckt. Seitdem sind Vivaldis Stücke aus dem Musikleben nicht mehr wegzudenken. Seine „Vier Jahreszeiten“ gelten als das meistgespielte Musikstück der Welt – die Verwendung als Telefonklingelton oder Werbejingle mit eingerechnet.

Peter Schneider stützt sich für sein Buch auf eigene, sorgfältige Recherchen und Quellenstudien und erweist sich als fulminanter Musikkenner. Aber der Leser erfährt in diesem Buch nicht nur viel über Vivaldi und seine Musik sondern auch über das Leben und den Musikbetrieb im Venedig des 18. Jahrhunderts. Schneider nimmt sich die Freiheit, Vivaldis Leben romanhaft zu erzählen, bleibt aber als Autor immer sichtbar. Er spannt einen Rahmen um die Handlung und erzählt von der Entstehung des Film-Projekts und dessen Scheitern. Seine Recherchen und die damit verbundenen Begegnungen sind in die Handlung eingewoben. Vivaldi und seine Töchter ist eine gelungene Mischung, ein so informatives wie unterhaltsames lebendig und spannend erzähltes Buch, dessen Lektüre den Film ahnen lässt, der daraus vielleicht geworden wäre.

Ruth Roebke, Bochum