Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Kverneland, Steffen

Ein Freitod

Untertitel
Graphic Novel. Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger
Beschreibung

Im Alter von 56 Jahren bringt sich Odd Kverneland um. Er leitet Abgase in sein Auto. Sein Sohn Steffen ist achtzehn, als sein Vater sich das Leben nimmt. Ein Freitod ist Kvernelands grafisch-literarische Aufarbeitung dieses verstörenden Ereignisses, eine autobiografische Reise in das Leben seines Vaters und seiner Familie. Das Buch ist eine eindrückliche und letztlich auch befreiende Auseinandersetzung mit einem Schock und einem großen Verlust.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
avant-verlag. 2019
Format
Gebunden
Seiten
120 Seiten
ISBN/EAN
978-3-96445-010-4
Preis
28,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Der Comickünstler und Illustrator Steffen Kverneland debütierte im Alter von 16 Jahren in dem Magazin Konk. In den 1980er-Jahren zeichnete er für eine Reihe von Underground-Magazinen, oft unter dem Pseudonym S. Susej. 1993 erschien De Knyttede Never nach einer Vorlage des norwegischen Schriftstellers Øvre Richter Frich in dem Kleinverlag TEGN A/L.

In seiner Reihe Amputerte Klassikere, die von 1994 bis 2001 gesammelt erschien, parodierte er Klassiker der Weltliteratur. Zusammen mit dem Zeichner Lars Fiske brachte 2004 die Comicbiographie Olaf G., die dem norwegisch stämmigen Simplicissimus-Aushängeschild Olaf Gulbransson ein Denkmal setzt. In ihrer zweiten Zusammenarbeit, der Graphic Novel Kanon haben Fiske und Kvernerland sich des Lebens des konstruktivistischen Vorreiters Kurt Schwitters angenommen. Seine stark von der kubistischen Zeichenschule geprägten Illustrationen zierten auch Biographien von Edward Munch (Munch, avant-verlag 2013) und Henrik Ibsen.

Zum Buch:

Im Alter von 56 Jahren bringt sich Odd Kverneland um. Er leitet Abgase in sein Auto. Sein Sohn Steffen ist achtzehn, als sein Vater sich das Leben nimmt. Ein Freitod ist Kvernelands grafisch-literarische Aufarbeitung dieses verstörenden Ereignisses, eine autobiografische Reise in das Leben seines Vaters und seiner Familie.

Steffen Kverneland ist der derzeit erfolgreichste Comicautor aus Norwegen, dem Ehrengast der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. In Deutschland wurde er bekannt mit den beiden außergewöhnlichen Künstlerbiografien zu Olaf Gulbransson (Olaf G. mit Lars Fiske) und vor allem zu Edvard Munch (Munch).

Im Mittelpunkt seiner Comicbände steht dabei die Recherche, die Kverneland immer wieder sichtbar macht – das ist bei seinem jüngsten Band nicht anders. Immer wieder tauchen Fotos auf, immer wieder setzt sich der Autor selbst ins Bild, als Kind, als werdender Zeichner, aber auch als Vater, der mit seinem kleinen Sohn über den Entwürfen des Buches sitzt. Hier wird nicht mit biografischen Bezügen spekuliert, hier geht es um das eigene Leben des Künstlers. Dass dieses Verfahren nicht pathetisch gerät, liegt an Kvernelands mitunter auch derbem Witz, der sich vor allem stilistisch ausdrückt. Er beherrscht die düstere Gouache, das stille Aquarell ebenso wie die grelle Karikatur. Die großzügige Seitengestaltung sorgt dafür, dass man der Geschichte jederzeit gut folgen kann.

Bei seiner Recherche entdeckt der Sohn den Verlorenen als einen verantwortungsvollen Ehemann und Familienvater, als humorvollen, hochmusikalischen und beruflich erfolgreichen Menschen. Warum hat er sich umgebracht? Nach und nach wird deutlich, mit welch ungeheurer Anstrengung der Vater gegen den Dämon der Depression kämpfen musste und gekämpft hat. Relativ spät wird die Krankheit benannt, dann auch behandelt, letztlich behält sie die Oberhand.

Kverneland merkt, wie die Erinnerung auch ihn selbst immer wieder täuscht. Gespräche mit seiner Frau und seinem Freund sind hier wichtige Mittel der Auseinandersetzung, der Korrektur. Das Gefühl der Trauer erlebt er als zwiespältig, mitunter als Heuchelei und zugleich als notwendigen Schmerz. Er bemerkt fast erleichtert, dass sich nicht jede Frage beantworten lässt: „Dem Willen, sich das Leben zu nehmen, liegt etwas unbegreiflich Düsteres zugrunde, das ich wohl nie werde nachvollziehen können. Ich habe es nicht in mir. Er muss fürchterlich gelitten haben.“

Die Anerkennung des Lebens, des Kampfs des Vaters macht dessen Verlust für den Sohn letztlich erträglich. Dass es dabei auch um die eigene Rolle als Vater geht, daraus macht Steffen Kverneland in Ein Freitod keinen Hehl. Das Buch ist eine eindrückliche und letztlich auch befreiende Auseinandersetzung mit einem Schock und einem großen Verlust.

Jakob Hoffmann, Frankfurt