Zum Buch:
Manchmal kann eine einzige Geschichte die Welt verändern, wenigstens die Welt um uns herum. So ergeht es Sungs Mutter, die mit ihrer fast hundertjährigen vietnamesischen Holzpuppe in der Grundschule ihres Enkels am Prenzlauer Berg eine Geschichte erzählt, die alle verzaubert. Ein wunderbar heiterer Roman, eine Utopie, wie wir sie nur allzu gerne erleben würden.
Es ist Hiêns eigene Geschichte, die sie ihre alte Wassermarionette aus Feigenholz erzählen lässt: Hiên war als Vertragsarbeiterin in die DRR gekommen und lebte gut am Prenzlauer Berg, bis sie sich in Gâm verliebte, schwanger wurde und das Kind in der DDR nicht bekommen durfte. Schweren Herzens flog sie nach Vietnam zurück und überließ das Baby, eine Tochter, ihrer Schwester. Es ist also eigentlich eine traurige Geschichte, eine Geschichte, die von Trennung erzählt. Kinder verstehen so etwas. In diesem Fall verstanden auch die Lehrerinnen und der Direktor, wovon Hiên erzählte; sie erinnerten sich an die Zeit vor der Wiedervereinigung Deutschlands. An Ideale, die sie hatten und die mit der DDR, dem Land ihrer Geburt, untergegangen waren. Völkerverständigung war eines davon. Aber Hiêns Geschichte klang nicht wirklich nach Verständigung, denn wie kann man verstehen, dass eine Mutter gezwungen wird, ihr Kind fortzugeben?
Was dann am Prenzlauer Berg geschieht, entwickelt eine Art Eigendynamik. Die Kunstlehrerin Jana Kripke will mit der 4c Holzpuppen in der Art der vietnamesischen Wassermarionette nachbauen, fragt in Sungs Laden nach Hiên und lässt sich von dem Tischler Ly Phong helfen. Die Mädchen aus Minhs Klasse wünschen sich an Karneval alle ein Kleid wie Hiêns Puppe. Und einen Kegelhut aus Sungs Laden. Der junge Dinh baut mit Höhenarbeitern Affenbrücken aus Bambusrohren und Hanfseilen über Prenzlauer Verkehrsströme. Ein Zahnarzt, dessen Doktorvater Fernfahrer unentgeltlich behandelt hat, öffnet jetzt sonntags seine Praxis für die Menschen aus Vietnam. Und fast einen Tag lang weht auf dem Dach des Bezirksamtes die Ho-Chi-Minh-Flagge.
Der ganze Roman – eine Utopie? Ja natürlich, aber was für eine schöne! Mit so viel Sprachwitz und Freude erzählt, dass einem ganz leicht wird ums Herz. Und das ist doch ein guter Anfang für eine Völkerverständigung, oder?
Susanne Rikl, München