Zur Autorin/Zum Autor:
Prof. Dr. phil. Yfaat Weiss ist Professorin für jüdische Geschichte und leitet das Franz Rosenzweig Minerva Zentrum für deutschjüdische Literatur- und Kulturgeschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Mitten in Haifa befindet sich ein Ruinenareal, das bis Ende der 1950er Jahre das Armenviertel Wadi Salib war. In der israelischen Geschichte ist Wadi Salib vor allem durch die Proteste der damals dort wohnhaften jüdisch-marokkanischen Bewohner im Jahr 1959 verankert, die gegen ihre zum Teil erbärmlichen Lebensbedingungen aufbegehrten. Deren Auseinandersetzungen mit der Polizei brachte die Spannungen zwischen Immigranten und Alteingesessenen, zwischen aus arabischen und aus europäischen Ländern stammenden Juden zum Vorschein und erzeugte erstmals ein politisches Bewusstsein für die innerhalb der jüdischen Bevölkerung existierende ethnische Diskriminierung.
Doch das ist nur ein Teil der Geschichte: Die Tatsache, dass Wadi Salib nur wenige Jahre zuvor noch ein intaktes arabisches Viertel gewesen war, war 1959 bereits vollkommen aus der Erinnerung gewichen – und das ist bis heute so geblieben. Im Zuge der Kämpfe von 1948 mussten die arabischen Bewohner aus ihren Häusern flüchten. Europäische und marokkanische Juden – Flüchtlinge ihrerseits – wurden dort einquartiert; sie lebten schließlich in den verlassenen Wohnungen, inmitten des Mobiliars und der persönlichen Habseligkeiten der geflüchteten arabischen Bewohner. Wie kam es dazu, dass solch eine dramatische Auslöschung der arabischen Präsenz in der Stadt innerhalb so kurzer Zeit vergessen wurde?
Von der verdrängten arabischen Präsenz in der Stadt Haifa erzählt dieses Buch, befasst sich gleichsam mit den Erinnerungen der dort angesiedelten Juden aus Marokko und wirft so Licht auf einen blinden Fleck der israelischen Geschichtsschreibung. Auf diese Weise wird Wadi Salib zu einer Gedächtnisikone israelischer Geschichtserfahrung, in der sich die verschiedenen Narrative des Landes – das arabisch-palästinensische, das jüdisch-mizrachische und das jüdisch-aschkenasische – ebenso miteinander verbinden wie sie sich aneinander brechen.
Yfaat Weiss erzählt mehr als die Geschichte eines Stadtviertels: Das Buch handelt ebenso von der Gründung Israels, die hier in den Kontext der dramatischen Verschränkung von Bevölkerungstransfer, Vertreibung und ethnosozialen Konflikten gestellt wird und im Zusammenhang der Ereignisse des europäischen 20. Jahrhunderts eine besondere Lesart erfährt.
(Klappentext)