Zum Buch:
Eine Sippe von Farmern und Leuchtturmwächtern wandert im 18. Jahrhundert von Irland nach Kanada aus. Ihre Geschichte und die ihrer Nachfahren lässt Jane Urquhart in ihrem neuen Roman von einem Mitglied dieser Familie erzählen. Die Stimme der Erzählerin ist leise und zögerlich, denn das Enthüllen der Geschehnisse, die zu jener Nacht im Sommer 1986 geführt haben, bewegt sie mehr, als sie offenbaren möchte.
Immer im Spätsommer verwandeln Monarchfalter einen Baum auf der Farm von Stanley Butler in einem brennenden Dornbusch. Sie sammeln sich und schweben dann über den Eriesee Richtung Ohio davon, um sich zu paaren und kurz darauf zu sterben. Dieses Bild von Schönheit, Vergänglichkeit, Leidenschaft, Leben, Tod und Wiederkehr ist das Leitbild des Romans, zu dem sich alles in Beziehung setzen lässt: die Ruhelosigkeit, Spontaneität und Lebenssehnsucht des Onkels, das Zusammenfinden unendlich vieler Kinder auf der Farm im Sommer, Cousins und Cousinen in Hülle und Fülle. Besonders nah stehen sich Mandy, Stanleys Tochter, und seine Nichte Liz, die Erzählerin, die vierzigjährig als Entomologin auf die mittlerweile aufgelassene Farm zurückkehrt.
Schon der erste Satz hätte mich stutzig machen müssen: “Schauen Sie aus dem Fenster.” Diese direkte Anrede kommt im Roman sehr selten vor, deshalb wird das Gefühl, dass man als Leser damit unmöglich gemeint sein kann, nie wirklich dominant. Urquhart, eine der wichtigsten kanadischen Autorinnen der Gegenwart, ist eine Meisterin der literarischen Komposition. Das Ende ihres Romans – als alles erzählt zu sein scheint – ist durchaus nicht das Ende der Geschichte. Im letzten Kapitel beginnt sie mit der Enthüllung des wahren Ansprechpartners noch einmal von neuem. Damit verweist der Roman auch in seinem Aufbau auf das Geheimnis des Schmetterlingsbaumes und seiner alljährlichen Wiedergeburt, zieht den Leser gänzlich in seinen Bann. Die wirklich guten Geschichten enden eben nicht mit dem letzten Satz auf der letzten Seite eines Buches.
Susanne Rikl, München