Zum Buch:
„Du hebst die Tasse an den Mund, und es ist, als hättest du ein Waschbecken zwischen den Lippen, so dick ist sie, so schwer. Ich hatte nie Ausgang und werde niemals hier herauskommen können. Aber ich habe das erlebt, vor acht Jahren, als ich zu einer Gerichtsverhandlung ging. Ein echter Löffel, aus Edelstahl, es ist mühsam, damit umzurühren. Dieses Klingeln, nach Jahren mit Plastik.“
An einem verlassenen Küstenstreifen, vierhundert Meter über dem Meer gelegen, erheben sich die glatten, hohen Gefängnismauern, hinter denen der Icherzähler in seiner winzigen Einzelzelle im Isolationstrakt hockt, wegen Entführung und Mordes zu einer lebenslangen Haft ohne Aussetzung zur Bewährung verurteilt, und seine Zeit vor und nach der Einkerkerung an sich vorbeiziehen lässt. Über die Jahre hinweg hat er wie ein Erblindeter ein enorm feines Gespür für seine Umwelt entwickelt, er weiß, wie das Gefängnis lebt und atmet, wie seine Mauern bei jeder Witterung beschaffen sind, wie die Türen sich beim Öffnen kreischend in den Angeln bewegen, weiß die Schritte der Neuzugänge von denjenigen der Alteingesessenen zu unterscheiden, erkennt an der Intensität der nächtlichen Schreie, wer da dem Wahnsinn anheimzufallen droht oder einfach nur darum bettelt, nicht mehr geschlagen zu werden. Ohne Anklage, ohne Gram oder Verbitterung beschreibt er das kriechende Vorrücken der Zeit und deren völliger Bedeutungslosigkeit, erzählt von Entbehrungen und Aufbegehren gegen das Vergessenwerden. Von den Träumen, die er als junger Mann gehegt und nun als gebrechlicher Alter begraben hat. Es gibt ein Gefängnis innerhalb des Gefängnisses, und das befindet sich, tief eingeschlossen, im Herzen derer, die nie wieder das Tageslicht erblicken werden.
„Ich riss einen Knopf ab, warf ihn auf den Boden, bückte mich und hob ihn auf. Warf ihn wieder. So bist du beschäftigt und schläfst weniger. Denn im Winter auf Zement zu schlafen macht dich kaputt. Wenn ich aber nackt war und es ein Loch am Boden gab, konnte ich nichts tun. Nur frieren.“
Maurizio Torchio hat mit seinem Roman Das angehaltene Leben ein Stück großartiger Literatur geschaffen, indem er sich einer unaufgeregten, nüchternen, fast emotionslosen Sprache bedient, die jedoch bewirkt, dass sich der Leser auf direkte Weise und geradezu persönlich angesprochen fühlt, den widrigen Zeitläuften des Icherzählers bis zum letzten Wort stumm und im höchsten Maße aufmerksam Gehör schenkt. Ein besonderes Buch. Ein großer Wurf von einem hierzulande noch gar nicht bekannten Autor, den es zu entdecken gilt.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln