Zum Buch:
Wer sich in diesem Buch mit dem großen Literaten Tabucchi auf Reisen begibt, lustwandelt nicht nur an seiner Seite auf Kreta, in Paris, Pisa, Indien oder Kyoto. Er betritt zugleich das weite Land der Fiktion, zuweilen auch die Fiktion des einen oder anderen Landes. Denn dieses Buch – eines, in dem man dem Autor in persona zu begegnen meint – ist nicht nur “ein Buch über das Reisen”, sondern auch “ein Buch über die Reise zur Kunst.”
Tabucchis erste Reise, von der er hier erzählt, führte ihn rund um die Welt, während er – im Kindesalter –Stevensons Schatzinsel in seinem Atlas suchte. Vielleicht ist es aber auch ganz anders gewesen und dieser erste Essay in dem Buch, das mit seinen Lesern zu anderen Ufern aufbricht, ist Fiktion oder die Verarbeitung einer Erinnerung oder deren Fiktionalisierung oder all das zusammen. Letztendlich wird das nie herausgefunden werden, und es kann uns auch gleich sein. Denn mit dem Essay ist eines gelungen: das Ablegen des Schiffes vom Land, das sich Entfernen des Lesers von der Situation, in der er zu lesen begonnen hat.
In der letzten Geschichte des Buches läuft der große Gelehrte und Literat wieder in den Hafen ein und kehrt zurück an Land. Das gelingt ihm, obwohl dieses Mal nicht nur die Erde, sondern das ganze Universum Gegenstand seiner Betrachtung ist. Erzählt wird nach orientalischem Vorbild ein Zwiegespräch zwischen einem Astronomen und einem „Mann ohne Land“, die sich gegenseitig die wichtigsten Dinge ihres Lebens kundtun. Der Astronom weiß unendlich viel über die Erde, die Lichtgeschwindigkeit, das Universum. Was der „Mann ohne Land“ diesem Wissen des Geistes entgegenstellt, ist das Wissen des Herzens, das aus seiner Hände Arbeit mit der Erde erwachsen ist. Welches Wissen nun ist das essentielle?
Immer wieder und immer wieder anders erzählt dieses Buch von Gedichten als Reisegefährten, von Literatur als Reise oder vom Schreiben als einer „Reise außerhalb von Zeit und Ort“. Man kann darin kreuz und quer und hin und her lesen – in einer Geschichte, in einem Essay stecken so viele Anregungen zum Weiterdenken, dass es für ein ganzes Leben reicht. Zum Reisen mit Antonio Tabucchi braucht man viel Zeit. Aber so lange, wie man in diesem Buch liest, wird es einen auch beglücken.
Susanne Rikl, München