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Die Erfindung der Hausfrau - Geschichte einer Entwertung

Autor
Rulffes, Evke

Die Erfindung der Hausfrau - Geschichte einer Entwertung

Beschreibung

Wie kommt es eigentlich, dass ein Großteil der Care-Arbeit während der Corona-Pandemie unbezahlt von Frauen geleistet wird? Warum fühlen sich immer noch besonders Frauen für den Haushalt verantwortlich? Warum wird Hausarbeit heute immer noch (oder wieder) als privates Problem der „Selbstsorge“ und nicht als politisches diskutiert? Woher kommen die Ausdrücke „Rabenmutter“ und „Muttermal“? In ihrer beeindruckenden Studie Die Erfindung der Hausfrau (2021) beschreibt Evke Rulffes die Entwicklung der „Deprofessionalisierung“ der Frau seit dem 18. Jahrhundert und klärt auf dem Weg diese Fragen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
HarperCollins Verlag, 2021
Seiten
288
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-7499-0240-8
Preis
18,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Evke Rulffes ist Kulturwissenschaftlerin. Sie promovierte 2018 an der Humboldt-Universität Berlin mit einer Arbeit über »Die angewiesene Frau. Christian Friedrich Germershausens ›Hausmutter‹«, in der sie mit alten Haushaltsratgebern der Spätaufklärung beschäftigte. Außerdem ist sie Redaktionsmitglied der Zeitschrift ilinx – Berliner Beiträge zur Kulturwissenschaft. Sie lebt heute als Kuratorin und Autorin in Berlin.

Zum Buch:

Wie kommt es eigentlich, dass ein Großteil der Care-Arbeit während der Corona-Pandemie unbezahlt von Frauen geleistet wird? Warum fühlen sich immer noch besonders Frauen für den Haushalt verantwortlich? Warum wird Hausarbeit heute immer noch (oder wieder) als privates Problem der „Selbstsorge“ und nicht als politisches diskutiert? Woher kommen die Ausdrücke „Rabenmutter“ und „Muttermal“? In ihrer beeindruckenden Studie Die Erfindung der Hausfrau (2021) beschreibt Evke Rulffes die Entwicklung der „Deprofessionalisierung“ der Frau seit dem 18. Jahrhundert und klärt auf dem Weg diese Fragen.

Rulffes zeichnet in ihrem Buch in gut lesbarer Sprache eine historische Entwicklung nach, deren Auswirkungen bis heute nicht zu unterschätzen sind. Ende des 18. Jahrhunderts, so Rulffes, entsteht das moderne Mutterbild, das von der Mutter bedingungslose Fürsorge für Kinder und Haushalt fordert und ihre Rolle in der Familie naturalisiert. Während es zuvor in fast allen Ständen normal war, Care-Arbeit bezahlten und oft ausgebildeten Arbeitskräften zu überlassen, wird sie Ende des 18. Jahrhunderts im Bürgertum, dessen Lebensstandard sich, so Rulffes, nur aufrechterhalten ließ, indem Frauen ohne Bezahlung und als Amateurinnen immer mehr Dienstleistungen übernahmen, deprofessionalisiert. Es beginnt, wie Rulffes es nennt, die Verwechslung von „Kinderbetreuung mit Liebe“, eine Entwicklung, die mit der neuen Idee der „Liebesheirat“ im Bürgertum einherging. Care-Arbeit zu leisten ist, diesem moralisierenden Diskurs folgend, für eine liebende Ehefrau und Mutter keine Pflicht, sondern eine Freude; das Diktum der Mutterliebe machte eine Vergütung überflüssig. So half das schlechte Gewissen der Frauen selbst das Rollenbild zu etablieren und aufrechtzuhalten.

In Die Erfindung der Hausfrau zeigt Rulffes, dass sich dieses Bild der bürgerlichen Ehefrau und Mutter auf das Bild der ländlichen Hausmutter stützte, ohne dabei zu berücksichtigen, dass es zuvor viele unterschiedliche Berufe und Rollen für Frauen gab und dass die Hausmutter eine Autorität und Selbstständigkeit hatte, die der bürgerlichen Hausfrau nicht mehr zugestanden wurde. Rulffes stützt ihre Ausführungen auf überaus interessantes Quellenmaterial: Ratgeberbücher für Hausfrauen aus dem 18. Jahrhundert, aus denen hervorgeht, dass „Hausmutter“ im 18. Jahrhundert (im Unterschied zu später) ein Herrschaftsbegriff war. Der Ratgeber Die Hausmutter in allen ihren Geschäfften (1778-1781) von Christian Friedrich Germershausen wendet sich an die Hausfrau, die als „Managerin“ einem großen Hausstand vorsteht. Gemeinsam mit ihrem Mann arbeitet sie für das gemeinsame Vermögen; sie hat die Kontrolle über Personal und Arbeitsabläufe und ist in wirtschaftlichen Fragen kundig. Rulffes beobachtet den Ton, den Germershausen gegenüber seinen Leserinnen anschlägt. Er spricht sie auf Augenhöhe an, wenn er Ratschläge zur Personalführung gibt: Was tun, wenn der Verdacht besteht, dass eine Magd stiehlt? Wie viel Suppe steht einem Landarbeiter in der Erntezeit zu und wie viel Schnaps einer Magd im Winter? In welchen Situationen sollte die Hausmutter lieber im Dialekt als auf Hochdeutsch mit dem Gesinde sprechen? Und Germershausen empfiehlt der Leserin, den Mägden zu befehlen, beim Melken Stalllieder zu singen, damit sie nicht einschlafen und die Hausmutter sie auch von Weitem kontrollieren kann. Dabei macht Germershausen lieber Vorschläge als Vorschriften. Rulffes beobachtet, dass der Autor in seinem Ratgeber stets verschiedene Methoden für einzelne Fragen und Arbeitsabläufe versammelt und ganz unterschiedliche Quellen zitiert. Indem er so die Haushaltsführung verwissenschaftlicht, überlässt er es den Leserinnen, selbst über die Umsetzung zu entscheiden. Allerdings ändert sich dieser Ton, wenn Germershausen die Leserin in ihrer Rolle als Mutter anspricht. Hier beobachtet Rulffes die Anfänge des neuen Mutterbildes, das dann im 19. Jahrhundert gefestigt wird.

Rulffes romantisiert nicht historische Zustände, in denen bezahlte Arbeitskräfte für die Haus- und Care-Arbeit zuständig waren, dabei aber in den meisten Fällen in starker Abhängigkeit leben mussten und auch nur selten fair bezahlt wurden. Stattdessen plädiert sie für die Anerkennung und faire Bezahlung von Haus- und Care-Arbeit. Diese Arbeit, so ihre zentrale Forderung, sollte zur Aufgabe der Öffentlichkeit werden. Außerdem – und das wird nach ihren historischen Ausführungen umso einleuchtender – fordert sie, dass Frauen und ihre Entscheidungen nicht auf der Grundlage von ideologisch geprägten moralischen Rollenbildern bewertet werden, vielmehr sollte es Auswahlmöglichkeiten geben. Diese Rollenbilder nämlich sind historisch und müssen in ganz eigenen ökonomischen Zusammenhängen gesehen werden, wie Rulffes eindrucksvoll zeigt.

Alena Heinritz, Innsbruck