Detail

Drucken

Archiv der verlorenen Kinder

Autor
Luiselli, Valeria

Archiv der verlorenen Kinder

Untertitel
Roman. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit
Beschreibung

Eine Patchworkfamilie – Mutter mit fünfjähriger Tochter, Vater mit zehnjährigem Sohn – lässt das vertraute Leben in New York hinter sich und macht sich auf ins ehemalige Land der Apachen. Der Vater, Akustomologe, will dort Tonaufnahmen machen; die Mutter, Journalistin, will weiter an die mexikanische Grenze fahren, um die „verlorenen“, das heißt geflüchteten Kinder einer Freundin zu suchen. Kennengelernt haben sich die Eltern bei der gemeinsamen Arbeit an einem Soundscape-Projekt in New York, bei dem alle Sprachen der Stadt archiviert werden sollten. Mit dem Ende des gemeinsamen Projekts beginnt die Beziehung zu bröckeln, und die lange Reise ist ein Versuch, sie zu kitten.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Verlag Antje Kunstmann, 2019
Seiten
432
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-95614-314-4
Preis
25,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Valeria Luiselli, geb. 1983 in Mexiko City, schreibt für Magazine und Zeitungen wie Letras Libres und die New York Times. Sie hat bisher zwei Romane veröffentlicht, Die Schwerelosen und Die Geschichte meiner Zähne, sowie die Essays Falsche Papiere. Ihre Bücher wurden in über 20 Sprachen übersetzt und mit Preisen ausgezeichnet. Archiv der verlorenen Kinder ist der erste Roman, den sie in Englisch geschrieben hat. Sie lebt in New York.

Zum Buch:

Eine Patchworkfamilie – Mutter mit fünfjähriger Tochter, Vater mit zehnjährigem Sohn – lässt das vertraute Leben in New York hinter sich und macht sich auf ins ehemalige Land der Apachen. Der Vater, Akustomologe, will dort Tonaufnahmen machen; die Mutter, Journalistin, will weiter an die mexikanische Grenze fahren, um die „verlorenen“, das heißt geflüchteten Kinder einer Freundin zu suchen. Kennengelernt haben sich die Eltern bei der gemeinsamen Arbeit an einem Soundscape-Projekt in New York, bei dem alle Sprachen der Stadt archiviert werden sollten. Mit dem Ende des gemeinsamen Projekts beginnt die Beziehung zu bröckeln, und die lange Reise ist ein Versuch, sie zu kitten.

Und so beginnt ein ungewöhnliches Roadmovie, eine Kollage aus Texten, Tönen, Fakten – Fakten zur Lage mexikanischer Flüchtlinge, zur Geschichte der Vernichtung der Indianer –, zusammengesetzt in kurzen, sprunghaften Abschnitten, immer wieder unterbrochen von Informationen und Gedanken zu Archiven und Archivierung, Dokumenten und Dokumentationen, ohne dass dabei der Fluss der Erzählung zu kurz käme. Und es ist eine wunderbare Erzählung: über Amerika, seine überwältigende Natur und ihre genauso überwältigende Zerstörung, über die blutige Geschichte der Grenzverschiebungen nach Westen und die ebenso blutige Geschichte der heutigen Grenzsicherung, aber auch über die Liebe: zwischen Mann und Frau, zwischen Eltern und Kindern und zwischen Geschwistern. Der Reise der Familie mit all ihren ganz gewöhnlichen, schwierigen und schönen Erlebnissen stellt die Autorin die Flucht der mexikanischen Kinder gegenüber, die in die umgekehrte Richtung führt: auf Zugdächern, auf dem langen, oft tödlichen Marsch durch die Wüste, über Mauern und Stacheldraht. Mit einem genialen Schachzug gelingt es Valeria Luiselli dann, die Welt der Flucht und die Welt der Reise zusammenzubringen: Sie wechselt in der Mitte des Buches die Perspektive und erzählt jetzt aus der Sicht des Sohnes, der sich mit seiner kleinen Schwester heimlich aufmacht, um die beiden Flüchtlingsmädchen zu finden, nach denen die Mutter sucht. Diese Erzählung, die die ganze Reise noch einmal aus kindlicher Sicht spiegelt, ist so wunderbar, so eindrücklich, so herzzerreißend und so spannend, dass man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen möchte.

Archiv der verlorenen Kinder ist ein außergewöhnliches Buch, hochpolitisch, aber ohne erhobenen Zeigefinger, experimentell, ohne belehrend, und anrührend, ohne kitschig zu sein. Unbedingt lesen!

Irmgard Hölscher, Frankfurt a.M.