Zum Buch:
Dönerbuden sind aus deutschen Groß- und Kleinstädten nicht wegzudenken. Noch in der tiefsten Provinz lässt sich neben Apotheke, Supermarkt und Bäckerei auch ein Döner finden. Wie es dazu kam, erzählt Eberhard Seidel, von den ganz frühen Anfängen bis zu den Zukunftsversprechen der Gegenwart. Soviel sei verraten: die Anfänge bleiben ungeklärt. Weder die Anfänge des „drehenden Bratens“ in der Türkei können zweifelsfrei ermittelt werden, noch lässt sich die Frage beantworten, ob in West-Berlin, in Frankfurt oder in Reutlingen der erste Döner verkauft wurde. Fest steht aber: der Döner, so wie wir ihn kennen, ist eine deutsch-türkische Erfindung, die es ohne osmanische Kulinarik und Technik, ohne Anwerbeabkommen BRD-Türkei, ohne Deutsch-Deutsche Teilung und Wiedervereinigung, und, ja, auch ohne Rassismus so nicht geben würde. Er hat einen langen Weg hinter sich vom Hammelfleisch mit Zwiebeln über den Durchbruch in West-Berlin bis zu den Edelküchen der Republik.
Döner Kebap ist mehr als das beliebteste Fast Food Deutschlands. „Döner ist eine Überlebensstrategie“, zitiert Seidel die 76jährige Rentnerin Filiz Yürekliks, die 1964 als eine der ersten türkischen Gastarbeiterinnen nach Deutschland kam. Das meint sie nicht metaphorisch – eigene Läden aufzumachen, war für viele Türk*innen in Deutschland nach dem Anwerbestopp zu Beginn der 70er eine ökonomische Notwendigkeit sowie die Möglichkeit, einen Teil der eigenen Kultur zu behalten. Auch die anhaltende antitürkische Hetze brachte viele dazu, lieber ein eigenes Geschäft aufzumachen als mit Nazis am Fließband zu stehen. Darunter war eben auch der Verkauf von an deutsche Essgewohnheiten angepasstes Döner Kebap – im Sandwich mit Kraut. Heute gibt es 18.500 Döner-Verkaufsstellen in Deutschland, mit über 80.000 Beschäftigten und einem gemeinsamen Jahresumsatz von sieben Milliarden Euro – das ist mehr als McDonalds, Burger King und Ikea zusammen. Inzwischen kommt es nicht nur bei der Bahn, sondern auch am Drehspieß zu Verspätungen und Ausfallen, weil das Personal fehlt, so groß ist das Business.
Bei aller guter Unterhaltung bleibt einem das wohlige Schmunzeln aber auch im Halse stecken, wenn Izzet Aydogu und Ursula Bielack berichten, wie Nazis 1991 beim Pogrom in Hoyerswerda zwischendurch bei ihnen an der „Dönerix“-Bude etwas gegessen habe: „Es war verrückt. In der einen Hand den Döner, die andere zum deutschen Gruß erhoben, rannten sie zurück zum Wohnheim, um weiter zu randalieren“, erinnert sich die Betreiberin. Im Buch folgt eine zehnseitige Chronik, die nur Anschläge auf Dönerläden von 2000 bis 2004 aufzählt. Von der Mordserie des NSU, die Polizei und Presse bösartig als „Döner-Morde“ bezeichneten, ist erst später die Rede. Ebenso wie von den Hindernissen, die die deutsche Lebensmittelgesetzgebung oder der einseitig mit Dönerspießen illustrierte Gammelfleischskandal den deutsch-türkischen Unternehmer:innen in den Weg legten. Gerade weil Seidel auch die Abgründe und Schattenseiten des deutsch-türkischen Verhältnisses beschreibt, gelingt ihm eine inspirierende Erfolgsgeschichte.
Bei seinem neuen Buch handelt es sich im Grunde um eine stark überarbeitete Neuausgabe seines 1996 erschienenen Buch Aufgespießt – wie der Döner über die Deutschen kam. Es gehört zudem zu den ersten Titeln im Programm des 2021 wieder neu gegründeten MÄRZ-Verlags. Man spürt auf jeder Seite, dass Eberhard Seidel seit über 30 Jahren zum Döner forscht und Einblicke wie kein zweiter hat. Er bringt Anekdoten über bekannte und unbekannte Personen der Geschichte, Interviews mit Köchen ganz oben und ganz unten in der Hierarchie, Rezepte aus mehren Jahrhunderten, wohlbeobachtete sozio-ökonomische Einsichten und das nötige Feingefühl mit. Kein anderes Buch zum Thema wird den Widersprüchen, Unklarheiten und Lebenswegen so gerecht werden wie Döner. Es geht umso viel mehr als drehend gebrutzeltes Fleisch; selbst Vegetarier:innen werden das Buch lesen wollen.
David Palme, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt